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2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache
Die deutsche Sprache wird – wie schon erwähnt – als eine an Varianten und an
Varietäten besonders reiche Sprache beschrieben. So etwa von Barbour/Stevenson
(1998) in ihrem Buch „Variation im Deutschen“: „Das Deutsche ist wahrscheinlich
die vielgestaltigste Sprache Europas“ (11). Als Grund dafür wird häufig die völlig
andere historische Entwicklung des Deutschen im dezentralen deutschsprachigen
Raum ins Treffen geführt, im Vergleich etwa zum Englischen mit dem Zentrum
London, zum Französischen mit der Île de France, Italien mit der Toskana und
Florenz als Zentrum oder Spanien mit Kastilien und Burgos (Protze 2001, 505).
Löffler (2005) stellt fest, die „deutsche Gemeinsprache“ sei „ein Kunstprodukt
und nicht die Sprache eines politischen und kulturellen Mittelpunktes eines Hofes
oder einer Hauptstadt“ (25).
Unter sprachlichen Varietäten verstehen Dittmar/Schmidt- Regener (2001, 521)
„funktional voneinander geschiedene, konstitutive Subsysteme des Gesamtsystems
einer Sprache“. Diese seien „theoretisch idealisierte Konstrukte, die inventari-
sieren, welche Realisierungen von Sprache in Abhängigkeit von der Sprachge-
brauchssituation systematisch zu erwarten und als solche auf allen Ebenen des
Sprachsystems beschreibbar sind (Phonologie, Grammatik, Lexik).“
Dabei kann man nach extralinguistischen Variablen zahlreiche unterschied-
liche Varietäten unterscheiden: nach geographischen, diatopischen (räumlichen)
Kriterien Dialekte, nach diastratischen, schichtspezifischen Kriterien Soziolekte,
nach staatlichen/regionalen Kriterien plurizentrische oder pluriareale Varietäten,
nach funktionalen Kriterien Fachsprachen, nach situationellen Kriterien Regis-
ter, nach dem Geschlecht genderspezifische Variation oder nach dem Alter z. B.
„Jugendsprache“.4
Eine Abgrenzung der Varietäten voneinander ist schwierig. Die Variation auf
der horizontalen Ebene kann letztlich als ein Kontinuum mit Kern- und Über-
gangszonen modelliert werden, deren Kernzonen von einem gewissen Ausmaß an
Stabilität und Homogenität gekennzeichnet sind und die man als Standardvarietät,
Umgangssprache(n) und Dialekt(e) bezeichnet. Dabei wird die Standardsprache
auch als „Hochsprache“, „Schriftsprache“ oder „Gemeinsprache“ bezeichnet. Die
Standardsprache ist der eine Extrempunkt eines Kontinuums. Das Kontinuum
von lokalen über regionale Dialekte bis hin zu diesem Standard wird häufig als
„Nonstandard“ oder, wertender, als „Substandard“ bezeichnet.
Im schulischen Kontext und bei der Vermittlung der Bildungssprache, in
dem sich die vorliegende Forschungsarbeit positioniert, geht es in erster Linie
um die Vermittlung der Standardvarietäten, zumindest was die Vorgaben in
Lehrplänen und Lehrmaterialien angeht. Aber man muss sich dessen bewusst
sein, dass die Grenzen zwischen den Varietäten fließend sind und dass das Ziel
4 Wie komplex eine Modellierung der Varietäten sein kann, zeigt eine Graphik bei Löffler 2005, 19.
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| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes22
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256