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Varianten/Varietäten, in der russischen Sprachwissenschaft seit den 1950er- Jahren
entwickelt, wobei vor allem und vielleicht nicht zufällig die 1934 aus Österreich
geflüchtete Jüdin Elise Riesel bei der Übertragung derartiger Konzepte auf die
deutsche Sprache eine wichtige Rolle spielte. Eine ausführliche Darstellung der
Begriffsgeschichte findet sich bei Ammon 1995 (42 ff, siehe auch Ammon 1998,
331 ff). Dieses Konzept der plurizentrischen Sprachen wurde v. a. von Clyne (1992,
1995, 2005) und Ammon (Ammon 1995, 2005, Ammon et al. 2004, Ammon/
Bickel/Lenz 2016) ausdifferenziert. Eine ausführliche Darstellung der aktuellen
Forschungslage findet sich bei Schmidlin 2011 und Kellermeier- Rehbein 2014.
Das Konzept der Plurizentrik geht davon aus, dass es von staatlichen Grenzen
beeinflusste (nationale) Varietäten des Deutschen gibt und in so genannten Halb-
zentren (Südtirol, Liechtenstein, Luxemburg und Belgien) Besonderheiten der
deutschen Sprache zu finden sind. Die zweite Auflage des Variantenwörterbuchs
(Ammon/Bickel/Lenz 2016) unterscheidet noch drei Viertelzentren: Rumänien,
Namibia und die Mennoniten- Gemeinden in Mexiko (XXVI).
Die plurizentrische Auffassung von der deutschen Sprache bedeutet, dass sprachliche
Besonderheiten der Zentren des Deutschen nicht als Abweichungen von einer übergrei-
fenden deutschen Standardsprache gelten, sondern als gleichberechtigt nebeneinander
bestehende standardsprachliche Ausprägungen des Deutschen. (XLI)
Eine Grundlage dafür seien die Nationalstaaten, die eine wichtige Rolle bei der
Standardisierung von Sprachen spielten, v. a. in Verwaltung, im Rechtswesen, in
Bildungsinstitutionen, aber auch in Verlagen und in den Medien. Das Modell der
Plurizentrik trägt, um es mit Schmidlin (2017, 45) zu formulieren, dem Umstand
Rechnung, „dass Standardsprachen überall dort, wo sie National- oder Amtsspra-
chen sind, aufgrund politisch- historischer Eigenentwicklung der betreffenden
Gebiete Besonderheiten aufweisen“. Sowohl die Verknüpfung von Staat und Spra-
che (siehe auch bei Dittmar, s. o.) wie auch die für das Deutsche charakteristische
Tatsache, dass es kein historisches Zentrum der Sprachnormierung und Standar-
disierung gegeben hat, legen es nahe, vom Deutschen als einer plurizentrischen
Sprache zu sprechen. Diese Sicht der Dinge ist wohl nicht zufällig in den letzten
Jahrzehnten in den Vordergrund gerückt. Durch die historische Entwicklung
nach 1945, in der das Gebiet der deutschsprachigen Bevölkerung auf vier (später
nach dem Ende der DDR drei) große Staaten aufgeteilt wurde, hat sich zuneh-
mend die Einsicht durchgesetzt, dass es sich hier um unterschiedliche Varietäten
ein und derselben Sprache handelt. So formulierte Peter von Polenz 1988: „Auch
in der Geschichte der deutschen Sprache ist das Zeitalter der perfektionierten
monomanen Standardisierung heute wohl zu Ende“ (v. Polenz 1988, 216). Für die
mittlerweile breite Anerkennung dieser Konzeptualisierung spricht die Tatsache,
dass es ein einführendes Lehr- und Studienbuch dafür gibt: „Plurizentrik. Eine
Einführung in die nationalen Varietäten des Deutschen“ (Kellermeier- Rehbein
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| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes26
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256