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ihre Varietät im Fremdsprachenunterricht zu exportieren. D-Nationen hätten
weiters bessere Instrumente zur Kodifizierung der Sprache, da sich die meisten
Verlage für Grammatikwerke und Wörterbücher im Land der D-Nation befinden.
Die Annahme, Diversität existiere nur in der gesprochenen Sprache, sei vor allem
in D-Nationen beheimatet. In manchen Fällen seien SprecherInnen der D-Natio-
nen nicht mit der nationalen Varietät der A-Nation vertraut oder verstünden
sie nicht. Clyne (1995, 23) verweist als mögliche Erklärung für das bestehende
asymmetrische Verhältnis zwischen der Varietät Deutschlands und der Varietät
Österreichs auf eine semantische Verwechslung der unterschiedlichen Bedeutun-
gen von „deutsch“: einerseits „deutsch“ als Adjektiv zu Deutschland, andererseits
als Bezeichnung der Sprache:
The first is a sematic confusion between deutsch/‘German’ pertaining to Germany, and
deutsch/‘German’ pertaining to the pluricentric language. This is due to the fact that
the states which unified under Prussia in 1871 chose the name Deutschland although
there were some German- language areas outside the new nation- state. In the Austro-
Hungarian empire, the word ‘German’ or ‘German- Austrian’ was used to distinguish
German speakers from the other ethnolinguistic groups. (Clyne 1995, 23)
Dies wäre, so Clyne weiter, von der (unter Deutschen) weitverbreiteten Annahme
begleitet, dass ihre Varietät überlegen ist.
Bei Ammon 1995 (484 – 494) finden sich insgesamt zwölf auf die Varietäten des
Deutschen bezogene „verbreitete Asymmetrien“: (1) die verbreitete Vorstellung von
der sprachlichen Dominanz des deutschen Zentrums, (2) die Meinung, Austria-
zismen und Helvetismen seien weniger korrektes Deutsch, und ihre geringere
Bekanntheit außerhalb der eigenen Zentren, (3) das Stereotyp von den deutschen
Schnellschwätzern, (4) die größere Funktionsbreite des deutschen Standard-
deutsch, (5) die zusätzliche Überschätzung der Funktionsbreite des deutschen
Standarddeutsch, (6) der größere Umfang des deutschen Sprachkodex, (7) das
höhere Prestige von Deutschlands Sprachkodex im Vergleich zu den Sprachkodizes
Österreichs und der Schweiz, (8) die reine Binnenkodifizierung des deutschen
Standarddeutsch gegenüber der partiellen Außenkodifizierung des österreichi-
schen und des schweizerischen Standarddeutsch, (9) die größere Normtoleranz
des Sprachkodex Deutschlands und der deutschen Sprachnormautoritäten, (10)
die rein soziale Kritik an den eigenen Sprachnormen in Deutschland gegenüber
der nationalen Kritik in Österreich und der Schweiz, (11) das mangelnde Bewusst-
sein von den Teutonismen und ihre fehlende Darstellung und (12) der stärkere
Variantenimport aus Deutschland als aus der Schweiz und aus Österreich.
Besonders hervorgehoben wird von einigen AutorInnen eine geringere Loya-
lität in der A-Nation gegenüber der eigenen Varietät. So spricht Michael Clyne
(1995, 31) von „linguistic cringe“, einem sprachlichen Unterlegenheitsbewusstsein
(zit. nach Schmidlin 2011, 226). Auch bei Ammon/Bickel/Lenz 2016 findet sich der
Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256