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wird in der hier berichteten Publikation, die bei den empirischen Fällen interes-
santerweise doch auf drei staatsbezogene Varietäten in Deutschland, Österreich
und der Schweiz referiert, festgehalten: „Unser Projekt beschreitet in Bezug auf
die verschiedenen Standardvarietäten in den deutschsprachigen Ländern und
Regionen einen konsequent deskriptiven Weg“ (323 f). Man werde vielleicht dazu
beitragen können, „ein klares und empirisch fundiertes Bild der grammatischen
Gebrauchsstandards im Deutschen zu liefern“ (233)23.
Niehaus (2017), der in Übereinstimmung mit dem Projekt Variantengrammatik
davon ausgeht, „dass es sich bei der deutschen Sprache nicht um eine plurizentri-
sche, sondern vielmehr um eine pluriareale Sprache handelt“ (Niehaus 2017, 62),
nennt als Vorteile des pluriarealen Ansatzes die „höhere theoretische Gewichtung
relativer Varianten“, „die methodische Offenheit bezüglich der Stärke arealer
Grenzen“, die „vergleichsweise hohe Flexibilität des Korpusdesigns“ und „gene-
rell die Anpassungsfähigkeit an die Empirie“ (Niehaus 2017, 85). Das Argument
der relativen Varianz als Vorteil des pluriarealen Modells wird an vier Beispie-
len illustriert (der Variation der Pluralbildung von Balkon [Balkone
– Balkons];
der Genusvariation von (E-)Mail, der Variation bei der Adverbienbildung wie
durchweg/durchwegs; der Variation in der Trennbarkeit von Verben am Beispiel
widerspiegeln), die zeigen, dass relative Varianten in der Grammatik keine Rand-
erscheinung seien und dass „grammatische Varianten in vielen Fällen Relativität
statt Absolutheit zeigen“ (81). Zumindest für die Grammatik dürfe anzuzweifeln
sein, ob absolute Varianten in der Mehrheit seien und ob es legitim sei, national-
arealen Varianten theoretisch so viel Raum in der Charakterisierung von Varie-
täten zu gewähren, wie das im plurizentrischen Modell der Fall sei. Ausgehend
von der (nicht zutreffenden, die Verf.) Annahme, der plurizentrische Zugang
würde nur Mehrheitsvarianten im Auge haben, sieht Niehaus für den didaktischen
Umgang mit Variation durch den plurizentrischen Zugang die Gefahr, „dass ohne
empirische Grundlage ein sprachmonomaner Variantenabbau ‚von oben‘ auf eine
einheitliche nationale Norm hin betrieben wird“ (84). Dass der plurizentrische
Zugang mit der Unterscheidung zwischen „spezifischen“ und „unspezifischen“
Varianten sehr wohl ein Konzept für die Phänomene grenzübergreifender Varia-
tion hat, sei hier jedenfalls erwähnt.24
Ein weiterer Zugang, welcher der Plurizentrik gegenüber in der Form eines
„plurinationalen Ansatzes“ kritisch eingestellt ist, findet sich bei Glauninger (2007).
Ausgangspunkt ist die Frage, ob ein „national“ determiniertes Modell eine adäquate
23 Angemerkt sei hier auch, dass natürlich auch andere Ansätze wie der plurizentrische Ansatz
empirisch arbeiten und um deskriptive Adäquatheit bemüht sind; und dass es u. E. theorie-
lose Empirie nicht gibt: Jeder Zugang zur außersprachlichen Realität ist nur durch sprachliche
Konzepte und theoretische Verallgemeinerungen möglich.
24 Der Titel des Aufsatzes von Niehaus 2017 „Die Begrenztheit plurizentrischer Grenzen […]“
entbehrt im Übrigen nicht einer gewissen herablassenden Abwertung einer anderen wissen-
schaftlichen Position. Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256