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staatsnationalen Varietät, […] die auch heute noch in offiziellen Kreisen der
Kulturbürokratie gerne gepflegt“ werde, die Rede (Wolf 1994, 75); von „zusätz-
liche[r] Aufoktroyierung sprachlicher Besonderheiten durch staatliche Zent-
ralstellen“ (Scheuringer 1988:
66; vgl. auch Fußnote 13 oben). Unserer Meinung
nach handelt es sich beim pluriarealen Konzept letztlich nur um eine andere
Konzeptualisierung der sprachlichen Variation innerhalb der deutschen Sprache,
deren Beschreibungs- und Erklärungsadäquatheit vor dem Hintergrund unter-
schiedlicher Annahmen über Sprache als soziales Phänomen beurteilet werden
muss und die mit der plurizentrischen Konzeptualisierung durchaus vereinbar
ist, sodass sich das pluriareale und das plurizentrische Konzept komplementär
ergänzen können. Zum „areallinguistischen“ Einwand, wonach die nationa-
len Varietäten bereits sehr unterschiedlich seien, sei mit Schmidlin (2017, 47)
festgehalten: „Im plurizentrischen Konzept haben beide Variationstypen Platz.“
Apodiktische, ausschließende Formulierungen wie: „Das Projekt ‚Varianten-
grammatik‘ geht davon aus, dass es sich bei der deutschen Sprache nicht um
eine plurizentrische, sondern vielmehr um eine pluriareale Sprache handelt“
(Niehaus 2017, 62. Herv. im Original) halten wir im Kontext dieser wissenschaft-
lichen Diskussion nicht für zielführend.
Auch das jeweilige Erkenntnisinteresse und die jeweils gewählte Analyse-
ebene spielen u. E. in den entsprechenden Debatten eine ausschlaggebende
Rolle: Steht die präskriptive, kodifizierte Norm im Vordergrund, mag der plu-
rizentrische, staatsraumbezogene Zugang adäquat sein 27. So z. B., wenn es wie
bei Moosmüller (2015) um die „Bestimmung der Standardaussprache in Öster-
reich“ und der Untersuchung der Akzeptanz bestimmter Aussprachevarianten
bei österreichischen ProbandInnen geht, auch weil die national organisierten
elektronischen Medien dafür eine Rolle spielen. Oder um es mit Spiekermann
(2010) zu formulieren: „dass
– im Fall des Deutschen
– die genormte und kodi-
fizierte Standardsprache in mehreren Staaten Amtssprache ist und die Staaten
jeweils eigenverantwortlich darüber entscheiden, was innerhalb des Staatsge-
biets als Standard anzusehen ist“ (349). Auch Auer (2013, 21) geht von der deut-
schen Sprache als plurizentrischer Sprache aus sowie von drei verschiedenen
Normen im Standarddeutschen in Deutschland, Österreich und der deutsch-
sprachigen Schweiz.
Ebner (2014, 8) weist auf die Tatsache hin, dass trotz der historischen Sprach-
räume sprachliche Ausprägungen aufgrund der Staatsgrenzen im Rahmen des
österreichischen Staatsgebiets entstanden sind, „weil die Verwaltungssprache viel-
fach auf die Gemeinsprache ausstrahlt und die Medien sprachlich bestimmend
27 Ulrich Ammon betonte bei einer Diskussion nach einem Vortrag bei der Internationalen
Deutschlehrertagung 2017 in Fribourg (CH), bei der eine der AutorInnen anwesend war, dass
das plurizentrische Konzept eben genau im normativen Kontext griffig und auch zur Anwen-
dung auf dieser Ebene gedacht sei.
Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256