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Sprachgebrauch der ÖsterreicherInnen alle Merkmale einer komplexen Diglossie
auf, in der im Alltag und in nähesprachlichen Situationen (ähnlich wie in der
Schweiz) regionale oder großregionale Varietäten des österreichischen Deutsch
verwendet werden. In formellen Situationen würden Varianten des formalen,
schriftbasierten Sprechstandards gebraucht. Je nach beruflicher oder privater
Situation komme es zu einem regelmäßigen Wechsel zwischen diesen Varie-
täten. Dem liege eine komplexe Kompetenz der SprecherInnen zugrunde, und
es sei aufgrund der linguistischen Distanz zwischen den Varietäten von einem
bilingualen Sprachverhalten auszugehen. Muhr spricht von nähesprachlichen
und distanzsprachlichen Varietäten, die als kommunikative und nicht als lin-
guistische Standards wirken.
Die Untersuchung von Ender/Kaiser hat allerdings gezeigt, dass die „Umgangs-
sprache“ als Varietät zwischen Standard und Dialekt in Österreich – im Unter-
schied zur Schweiz – von den SprecherInnen als wichtig wahrgenommen wird
(Ender/Kaiser 2009), was ein Argument für die Annahme eines dreistufigen
Modells ist, auch wenn die Konzeptualisierung der Umgangssprache schwierig
ist (vgl.
2.3). Im vorliegenden Projekt ist zunächst
– der zentralen Fragestellung
gemäß
– die Standardvarietät im Fokus gestanden, die das von der Schule anzu-
strebende bildungssprachliche Register darstellt. Aber sowohl bei der Analyse
der relevanten Dokumente (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) als auch bei
der Befragung war es wichtig, die gesamte Bandbreite der Sprachverwendung
des Deutschen in Österreich im schulischen Kontext zu thematisieren (s. u.)
und zu erfragen, wie mit dem Varietätenspektrum des Deutschen in Österreich
umgegangen wird. Dabei sind wir von der oben dargestellten dreistufigen Model-
lierung des Dialekt- Standard- Kontinuums ausgegangen. Es zeigte sich, dass alle
drei Varietäten
– unterschiedlich gewichtet bei LehrerInnen und SchülerInnen
–
eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung der sprachlichen Situation und beim
Sprachgebrauch in Österreich spielen (siehe Kap. 6.1).
Bei der Beschreibung der sprachlichen Situation in Österreich bezieht sich
die Bezeichnung „österreichisches Deutsch“ in der Regel auf die Standardspra-
che (Wiesinger 2010, 360; Ebner 2009; vgl. auch Clyne 2005, 29633). Wenn alle
schriftlichen und mündlichen Varietäten der deutschen Sprache gemeint sind,
wird das mit „Deutsch in Österreich“ bezeichnet.
Wenn von Deutsch in Österreich oder der deutschen Sprache in Österreich die Rede
ist, sind prinzipiell alle sprachlichen Ausprägungen der deutschen Sprache in Öster-
reich gemeint […]. Österreichisches Deutsch meint hingegen die Standardvarietät
des Deutschen in Österreich, wozu sowohl innerösterreichische regionale Ausprä-
gungen gehören, sofern sie standardsprachlich sind, als auch Ausprägungen, die mit
33 Er verweist darauf, dass manche „national variety“ dafür verwenden, „to include all varieties
used in a nation“, z. B. Muhr (296).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes48
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256