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und im Unterricht. Die diesbezügliche Einschätzung der ExpertInnen deutete
darauf hin, dass Varietätenfragen im Unterricht kaum Niederschlag finden dürften,
obwohl gerade im Fach Deutsch die LehrerInnen besonders viel Reflexionswissen
bräuchten, darin waren sich die befragten ExpertInnen einig.
Was die Spracheinstellungen der ÖsterreicherInnen betrifft, so zeigten die
ExpertInneninterviews und die Fachliteratur (Steinegger 1998, Muhr 2005b,
Legenstein 2008, de Cillia 2009), dass unter der österreichischen Bevölkerung
zwar ein Bewusstsein für das „Anderssein“ der österreichischen Varietät im Ver-
gleich zur Varietät Deutschlands besteht. Darüber hinaus sei aber wenig Wissen
über die österreichische Standardvarietät vorhanden. Muhrs (1989) Untersuchun-
gen zufolge hält ein Großteil der ÖsterreicherInnen das österreichische Deutsch
für einen Dialekt. Unsere ExpertInnen wiesen einheitlich darauf hin, dass es in
Österreich sprachliche Unklarheiten hinsichtlich Standard/Hochsprache und
Dialekt gäbe. Auch diskursanalytische Befunde deuteten darauf hin, dass feh-
lende alltagssprachliche Konzepte von einer flexiblen, plurizentrischen Norm
von Sprache/n zu einer Verwirrung in Bezug auf die Zuordnung österreichischer
Sprachvarietäten führen (de Cillia 2009).
Sprachliche Unsicherheit führt Muhr zufolge zu mangelnder Sprachloyalität
der eigenen Varietät gegenüber, zu sprachlichen Minderwertigkeits
gefühlen und
letztlich zu sprachlichem Identitätsverlust (2005b, 18). Ähnlich argumentierten
die meisten befragten ExpertInnen, wenn es um den Zusammenhang zwischen
innerer Mehrsprachigkeit und Identität geht, und um die Fähigkeit, die Rollen von
Standard und Dialekt zu ordnen. Da im vorschulischen und schulischen Bereich
kaum bewusster und reflektierter Umgang mit den soziolinguistischen Varietä-
ten, insbesondere mit dem Dialekt, stattfinde, werde Dialekt häufig als defizitäre
Sprachform empfunden, was sich wiederum negativ auf das sprachliche Selbst-
wertgefühl auswirke. Schließlich war für uns noch der Aspekt der Kodifizierung
des österreichischen Standarddeutsch relevant. Einen zentralen Kodexbestandteil
für Deutsch als Unterrichtssprache stellt das Österreichische Wörterbuch (ÖWB)
dar. Welche Stellung das ÖWB in den österreichischen Schulen genießt, ob es
als Referenzwerk von LehrerInnen und SchülerInnen herangezogen wird und
inwiefern es über die Gratisschulbuchaktion seinen Weg in die österreichischen
Haushalte gefunden hat, waren allesamt Aspekte, über die es zu Projektbeginn
keine Informationen gab.
2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen
Nach der Bestandsaufnahme durch Literatur und ExpertInnen- Interviews konn-
ten wir eine Reihe von Forschungslücken identifizieren:
Zu Projektbeginn lag keine umfassende Analyse des Aspekts der sprachlichen
Variation in den Lehr- und Studienplänen bzw. der PädagogInnenausbildung vor.
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| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes60
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256