Seite - 128 - in Österreichisches Deutsch macht Schule - Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Bild der Seite - 128 -
Text der Seite - 128 -
Demgegenüber wurde das deutsche Deutsch
– von den SchülerInnen manch-
mal auch „Hochdeutsch“ genannt – mit Attributen versehen wie „klugscheißer-
mäßig“, „klingt immer so förmlich“, „die Deutschen sprechen so/ also sie sind
so str/ streng“ (F10), „ich find die Deutschen versuchen einfach immer deutlich
zu reden“ (F9), und es wurde mehrmals behauptet: „oft/ verstehen einen die
Deutschen nicht“ (F10, was umgekehrt nicht der Fall sei).
Eine Nachfrage in der LehrerInnen- Gruppendiskussion zu den Ergebnissen
der Fragebogenerhebung bei den SchülerInnen, wonach rund 70 % der Schüler-
Innen österreichisches Deutsch mit umgangssprachlichen und dialektalen Varie-
täten verbinden, aber nur 20 % mit der standardnahen Sprache von Radio und
TV, bestätigte auch die Fragebogenergebnisse. „Österreichisches Deutsch, das is
klar, dass da eher/ das was charakteristisch is für Österreich,
…, die Dialekte zum
Beispiel.“ (M1) Auf die Rückfrage des Moderators „Das heißt, Standardsprache
oder Hochsprache sind nicht so charakteristisch wie die Dialekte?“ antwortete
ein anderer Teilnehmer mit „Genau“.
In weiterer Folge wurde in der Diskussion der SchülerInnen von ein paar
TeilnehmerInnen ins Treffen geführt, dass die Sprache im österreichischen Radio
(im Sender Ö3) Umgangssprache sei, und bei den Regionalsendern, z. B. Radio
Steiermark oder Radio Burgenland
– sogar Dialekt. Auch das folgende Statement
bestätigte den Gesamteindruck, dass SchülerInnen in erster Linie nonstandard-
sprachliche Varietäten mit dem österreichischen Deutsch assoziieren.
Also für mich ist österreichisches Deutsch, halt wie ich schon vorher gesagt hab, viel
charakteristischer, also wären das eher für mich ahm die Dialekte oder eher das Lässi-
gere für mich, wie zum Beispiel „Ich hab gsehn“. Und dass man nicht sagt, „ich hab
g/ habE gesehEN“, sondern „ich hab gsehn“. (F1)
Die Diskussion zur Konzeptualisierung sprachlicher Variation in der Gruppe
der SchülerInnen bestätigt, abschließend zusammengefasst, den Eindruck, dass
eher nähesprachliche Varietäten und mündliche Sprachformen mit österreichi-
schem Deutsch assoziiert werden, wobei die Grenzen zwischen den Varietäten so
wie zwischen Umgangssprache und Dialekt fließend sind und die beiden immer
wieder gleichgesetzt werden. Den SchülerInnen fehlt auch die Begrifflichkeit,
um differenziert über Variation zu sprechen
– dieser Befund durchzieht von der
Dokumentenanalyse an als roter Faden sämtliche Ergebnisse. Dies weist auf die
Bringschuld des Schulsystems hin, differenzierte Terminologie und Wahrneh-
mung in diesem Zusammenhang zu vermitteln.
Ähnliche Befunde haben die Interviews mit den LehrerInnen ergeben. Ein
Vorarlberger Lehrer (MV1) betonte für sein Bundesland:
Unsere Enkulturation ist eine dialektale. Nicht eine österreichische Deutsch-
Geschichte,
… der Dialekt
… hat
… auch einen ganz anderen Stellenwert
… wer was
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Ergebnisse der empirischen Erhebung an
Schulen128
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256