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wichtig ist, dass man net hin und her switcht und immer wieder wackelt, des is eher
das Problem meiner Schüler.
Dem stimmte eine weitere Lehrerin im Prinzip zu, wobei sie sogar so weit ging,
die Norm allgemein in Frage zu stellen: „Letztendlich ist mir bewusst geworden,
es STEHT DIE: NORM, ähm, Erzählungen sind im Präteritum zu sein. KEIN
MENSCH frogt, ob diese Norm überhaupt richtig ist“ (F9, 637). Ein Diskussions-
teilnehmer gab dem Recht, relativierte dann aber (M1, 647):
Aso, jo. I muss zugeben, mir gehts genauso.
[…] Im Deutschbuch steht, Präteritum ist
die schriftliche Erzählform und […] Perfekt ist die MÜNDLICHE – erlaubt, jo, aber
nicht schriftlich.
[…] Aso i würds anstreichen, eben, weil für mich diese Norm
– ver-
bindlich ist. Ah, – i hob die a ehrlich gsogt nu net hinterfrogt.
Eine weiterere Diskussionsteilnehmerin stellte Normen noch grundlegender in
Frage – auch punkto Textaufbau – und erzählte von einer Erfahrung mit einer
Unterstufenklasse, in die auch ein Bub mit afrikanischen Wurzeln ging (F6, 647):
Der hat ma Gschichten geschrieben, der hat irgendwo angefangen/ aso die ham so
gekreist diese Geschichten, ja? Die ham KAN Höhepunkt gehabt, ja? Also, EHRLICH
net. Und i hab mir dann gedacht, ja, der hat diese Norm jetzt net erfüllt, aber es is a
gute Gschicht, ja?
In weiterer Folge wurde die „Normfrage“ auf eine noch allgemeinere Ebene geho-
ben: Man brauche Normen, um sich daran zu orientieren und damit arbeiten zu
können, hieß es
– und erst, wenn man wisse, dass es sich um eine Norm handle,
könne man überhaupt eine Norm brechen:
Na, na, ich, ich, ich denke, das mit den Normen. Ähm, Diese Normenfrage. Ganz
prinzipiell mit der Normenfrage. Aber es is halt trotzdem so, aso, äh, zumindest, ahm,
seh ich das, dass es LEICHTER ist, sich, ahm, zum Beispiel EINE NORM, eine/ an, an,
an EINER Norm, ah, sich zu orientieren, aber diese Norm nicht für absolut ((breitet
Hände zustimmend aus)) gültig zu halten. Sondern für änderbar. Aber erst, wenn ich
weiß, dass es eine Norm ist, kann ich überhaupt eine Norm brechen, beziehungsweise
MIT dieser Norm arbeiten. (F3, 718)
Eine Diskussionsteilnehmerin plädierte schließlich nochmals für einen flexiblen
Normbegriff, indem sie auf den individuellen Spielraum verwies, den LehrerInnen
als normsetzende Instanzen ausschöpfen könnten:
Letztendlich sind WIR die Entscheidenden,
… WIR können uns nur bilden und mög-
lichst weit werden und nicht – BLIND Normen v:e:rfolgen, … wenn ma si genauer
Korrekturverhalten
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256