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Klassenzimmer häufig ein durchaus reflektierter und differenzierter Umgang mit
der Normproblematik im Sinn eines situativen, kommunikativen Normverständ-
nisses die Regel sein dürfte.
Unsere Untersuchung sollte auch überprüfen, ob oder inwiefern der in der
Literatur behauptete sprachliche „Minderwertigkeitskomplex“ (s. o.) der Österrei-
cherInnen im Hinblick auf das deutschländische Deutsch nachgewiesen werden
kann. Auf die Frage, ob das österreichische Deutsch ebenso korrekt sei wie das
deutsche Deutsch, antwortete zunächst die überwiegende Mehrheit der LehrerIn-
nen (86 %) und ein Großteil der SchülerInnen (68 %) mit „Ja“. Eine differenzierte
Nachfrage zum Stellenwert der beiden Varietäten im direkten Vergleich brachte
jedoch eine gewisse Ambivalenz zum Vorschein: Nur mehr 45 % der LehrerIn-
nen und etwa ein Drittel der SchülerInnen schätzten die beiden Varietäten als
absolut gleich korrekt ein. Dieses Ergebnis unterstreicht, dass LehrerInnen wie
SchülerInnen unsicher sind und beim Einstufen der Richtigkeit des österreichi-
schen Deutsch Zweifel haben.
Unsere Untersuchung zeigt dennoch eines ganz klar: Trotz der festgestell-
ten Normverunsicherung ist unter LehrerInnen und SchülerInnen ein plurizen-
trischer Zugang intuitiv feststellbar. Unsere Befragten unterstützten mit klarer
Mehrheit (90 % der LehrerInnen und 80 % der SchülerInnen) die Aussage, dass
Deutsch eine „Sprache mit Unterschieden in der Standardsprache zwischen den
einzelnen Ländern“ ist. Unter den Lehrkräften mit Universitätsausbildung lag der
entsprechende Wert sogar bei 95 %. Breite Zustimmung gab es von den Lehre-
rInnen und SchülerInnen (80 % bzw.
59 %) auch auf die Frage, ob es ein österrei-
chisches Standarddeutsch gibt. Diese Befragungsergebnisse unterstreichen, dass
die Mehrheit der LehrerInnen und SchülerInnen die deutsche Sprache intuitiv
plurizentrisch konzeptualisieren, obwohl nur einem kleinen Teil der Befragten
das Konzept der Plurizentrik als solches bekannt ist (LehrerInnen: 14,7 %, Schüler-
Innen: 8,1 %). Interessant war, dass im Gegensatz zu den Lehrkräften in manchen
österreichischen Regionen keineswegs alle SchülerInnen gleichermaßen von der
Existenz eines österreichischen Standarddeutsch überzeugt waren: Unter Tiroler
und Vorarlberger SchülerInnen liegen die Zustimmungsraten zu einem österrei-
chischen Standarddeutsch signifikant unter den Werten der SchülerInnen aller
anderen Bundesländer.
Was häufig ins Treffen geführt wird, wenn die Existenz eines österreichi-
schen Deutsch diskutiert bzw. in Abrede gestellt wird, sind die regionalen Sprach-
unterschiede innerhalb Österreichs. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass die
von uns befragten LehrerInnen und SchülerInnen mehrheitlich trotz regiona-
ler Sprachunterschiede von einem österreichischen Standarddeutsch ausgehen.
Die Behauptung, dass für ein eigenes österreichisches Standarddeutsch zu große
regionalsprachliche Unterschiede innerhalb Österreichs vorhanden wären, wurde
von der klaren Mehrheit der befragten LehrerInnen (82 %) abgelehnt – von den
Lehrkräften mit Universitätsausbildung oder mit plurizentrischem Vorwissen
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Ergebnisse der empirischen Erhebung an
Schulen218
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256