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Schulbücher nicht mit dieser Thematik beschäftigen. Nach wie vor scheint das
heimische Bildungssystem von der Vorstellung geprägt zu sein, dass ein nicht
näher definiertes „Hochdeutsch“
– quasi ein „Einheitsdeutsch“
– die Richtschnur
für die DeutschlehrerInnen ist, obwohl in der Sprachwissenschaft niemand mehr
ernsthaft daran zweifelt, dass es mehrere gleichwertige Varietäten der deutschen
Sprache gibt, und demzufolge ein überregionales österreichisches Standarddeutsch
existiert, das im Sinn einer plurizentrischen Auffassung dem Standarddeutsch
der Bundesrepublik gleichwertig ist. Im DaF/DaZ-Unterricht ist dieses Konzept
mittlerweile in die Lehrmittel- Gestaltung, die DaF/DaZ-LehrerInnenausbildung
und die internationale Testentwicklung eingeflossen. Umso mehr verwundert
es, dass der DaM-Bereich unseren Projektergebnissen zufolge davon bisher fast
gänzlich unberührt geblieben ist. Dass sich die Plurizentrik auch in den ausschlag-
gebenden Grundlagentexten, wie die Lehr- und Studienpläne, nicht abbildet, ist
im normativ orientierten Kontext der Schule als problematisch zu sehen.
Die Bildungsautoritäten verkennen, dass es weitreichende Konsequenzen hat,
wenn die Varietäten- Thematik in den Lehrplänen und in der LehrerInnenausbil-
dung fehlt. Eine Zahl aus unserer Fragebogenerhebung verdeutlicht, wie groß das
Manko ist: 86 Prozent der befragten Lehrkräfte sagen, dass in ihrer Ausbildung
das Thema sprachliche Variation wenig bis gar nicht vorgekommen ist (siehe
Kap. 5.1). Die LehrerInnenschaft steht daher im Klassenzimmer- Alltag meist
ohne fundiertes Wissen da, wie man mit sprachlicher Variation im Unterricht
umgehen soll. Weil sich die LehrerInnen in der Thematik unsicher sind, wird das
österreichische Deutsch auch dementsprechend selten im Unterricht aufgegriffen.
Am ehesten wird der Themenbereich noch von AHS-/Sek.-II-LehrerInnen (rund
30 %) behandelt. Aber für die überwiegende Mehrzahl der LehrerInnen – vor
allem der anderen Schulformen – ist österreichisches Deutsch selten bis nie ein
Thema in der Deutschstunde. Auch was die Verwendung von Wörterbüchern
betrifft, zeigt sich unter SchülerInnen und jüngeren LehrerInnen wenig Varie-
tätenbewusstsein. Nach unseren Daten wird nur von den älteren Lehrkräften im
Österreichischen Wörterbuch nachgeschlagen und von allen anderen Befragten
eher auf den Duden und Internetquellen zugegriffen als auf das Österreichische
Wörterbuch, das – einst als Teil eines österreichischen Kodex gegründet und
von einem staatlichen Verlag herausgegeben
– mittlerweile von einer deutschen
Verlagsgruppe herausgegeben wird. Es ist auch im Internet nicht ohne Weiteres
zugänglich – angesichts der Nachschlagegewohnheiten vor allem der Schüler-
Innen ein eindeutiges Manko. Dass das Variantenwörterbuch, das eigentlich in
jeder Schulbibliothek stehen sollte, überhaupt nicht bekannt ist und von keiner
einzigen Lehrperson erwähnt wurde, ergänzt dieses Bild.
Dazu kommt, dass die hierzulande gängigen Deutsch- Lehrwerke keine
Unterstützung sind, wie unsere Untersuchung ergeben hat. Das österreichische
Standarddeutsch wird in den von uns im Projektzeitraum untersuchten Lehr-
werkserien entweder gar nicht erwähnt, oder es wird fälschlicherweise in den
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256