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Dunstkreis eines sprachlichen Substandards gerückt. So fehlt den Lehrkräften
der fachwissenschaftliche Rückhalt, dass das österreichische Standarddeutsch
gleichermaßen „hochsprachlich“ ist und dass Zweifel an seiner Korrektheit unan-
gebracht sind. Stattdessen werden die LehrerInnen beim tagtäglichen Umgang in
der Klasse mit der Variantenvielfalt im Deutschen und den damit verbundenen
Österreich- Spezifika im Stich gelassen. Schon allein bei der Frage, was österrei-
chisches Deutsch ist, gehen die Ansichten der ProbandInnen auseinander: Mit
gesprochenem österreichischem Deutsch werden alle drei österreichisch gepräg-
ten Sprachvarietäten (Dialekte, Umgangssprache, mediennahe Standardsprache)
assoziiert, wobei SchülerInnen mit österreichischem Deutsch vor allem Dialekt
und Umgangssprache verbinden – und erst in dritter Linie Standard. Auch bei
den LehrerInnen tendieren die jüngeren im Unterschied zur Gruppe der älteren
LehrerInnen zu dialektalen Varietäten.
Umso mehr überrascht es, dass LehrerInnen ganz klar (und in etwas schwä-
cherer Form auch SchülerInnen) von einer österreichischen Standardvarietät
ausgehen. Auf die Frage, ob es ein eigenes österreichisches Standarddeutsch gibt,
antwortete die überwältigende Mehrheit der befragten LehrerInnen (80 %) mit
Ja. Und 90 % der Lehrkräfte sagen, dass Deutsch eine Sprache mit Unterschieden
in der Standardsprache zwischen den einzelnen Ländern sei. In unseren Daten
zeigt sich im Übrigen bei den (weiblichen) Schülerinnen tendenziell eine relativ
stärkere Wahrnehmung der Unterschiede zwischen österreichischem und deut-
schem Deutsch und eine relativ größere Zustimmung zu einem eigenen öster-
reichischen Deutsch als bei den Schülern.
Zieht man in Betracht, dass nur etwa 15 % der befragten LehrerInnen je vom
Begriff „Plurizentrik“ gehört haben, gibt es also in der LehrerInnenschaft ein
intuitives Verständnis für das Plurizentrik- Konzept. Innerösterreichische Sprach-
unterschiede ändern daran nichts, sie werden im Sinn einer regionalen Plurizen-
trik wahrgenommen. Damit bestätigt sich im Prinzip der Befund von Schmidlin
(2011, 282), wonach sich die Landesgrenze sowohl als kognitive als auch als sich
daraus ergebende sprachpragmatische Grenze auswirke.
Für einen souveränen didaktischen Umgang mit Phänomenen sprachlicher
Variation reicht ein vages sprachliches Bauchgefühl freilich nicht aus. Deutlich
wurde die lehrerseitige Unsicherheit in Bezug auf Sprachverwendung und den
Umgang mit Sprachnormen in den Schulen in den Interviews und Gruppendis-
kussionen, die wir im Rahmen unserer Studie durchgeführt haben. Die Methoden-
triangulierung hat sich dabei als hilfreich herausgestellt. Die durch Gruppendis-
kussionen und Interviews erhobenen qualitativen Daten ergänzten die Ergebnisse
der quantitativen Befragung immer wieder um feine Nuancen, indem sie beispiels-
weise Hinweise auf Unsicherheiten in der Normfrage und ambivalente Einstel-
lungen gegenüber der eigenen Varietät lieferten, die aus den quantitativen Daten
so nicht ersichtlich waren. Auch die teilnehmende Beobachtung zeigte, dass die
Selbsteinschätzung der LehrerInnen bezüglich ihrer Varietätenverwendung nicht
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| Schlussbetrachtung und
Ausblick224
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256