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7.2 Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Wir sind im vorliegenden Projekt von einem plurizentrischen Ansatz der sprachli-
chen Variation des Deutschen ausgegangen, der einerseits annimmt, dass staatliche
Grenzen für sprachliche Variation und Spracheinstellungen eine wichtige Rolle
spielen, andererseits aber auch Staatsgrenzen übergreifende und innerstaatliche
Variation berücksichtigt. Was die Analyse von für den Unterricht an den Schulen
zentralen Dokumenten und Texten betrifft (Lehrpläne, Studienpläne, Deutsch-
Lehrbücher), so zeigte sich, dass
– entgegen der Wichtigkeit des österreichischen
Deutsch im politischen und medialen Diskurs (z. B. EU-Beitritt, „Marmeladekrieg“
vgl. de Cillia 2006)
– dem Konzept einer staatsbezogenen sprachlichen Variation
in diesen Dokumenten keinerlei Bedeutung zukommt. Und obwohl dieser Zugang
LehrerInnen und SchülerInnen kaum als wissenschaftliches Konzept bekannt ist,
ist in den Spracheinstellungen, die mit unterschiedlichen Methoden der Befragung
erhoben wurden, ein Bewusstsein von einem eigenen österreichischen Deutsch
und eine intuitive plurizentrische Einstellung vorhanden. Dabei wird nicht in
erster Linie und v. a. nicht ausschließlich die Standardvarietät mit österreichi-
schem Deutsch assoziiert, sondern es sind eher dialektale und umgangssprachliche
Varietäten. Letztlich umfasst für die ProbandInnen österreichisches Deutsch das
gesamte österreichische Dialekt- Standard- Kontinuum.
Deutlich wurde auch, dass LehrerInnen als normsetzende Instanzen in der
Zwickmühle stecken, weil sie mit Normfragen umgehen müssen, bei denen sie
selber unsicher sind, die in ihrer Ausbildung nicht oder kaum thematisiert wurden
und die bisher auch wissenschaftlich nicht zufriedenstellend beantwortet worden
sind. Dies ist umso problematischer, als man von LehrerInnen nicht erwarten
kann, dass sie das österreichische Deutsch im Unterricht einbeziehen, wenn sie
kaum Hilfsmittel zur Hand haben oder diese nicht kennen. All das führt dazu,
dass die LehrerInnen selbst nicht so recht wissen, was österreichisches Deutsch
ist und was standardsprachliche plurizentrische Variation ausmacht.
Dazu kommt, dass die Grenzen zwischen den Varietäten, insbesondere zwi-
schen der Standardsprache und der Umgangssprache, bekanntlich notorisch
unscharf sind. Eine Folge davon ist, dass LehrerInnen in Zweifelsfällen – und
umso mehr, wenn der Kodex mangelhaft ist – exonorm- orientiert korrigieren.
Unsere Daten haben zwar die in Pilotstudien behauptete Exonorm- Orientiertheit
nicht so stark bestätigt, aber die lehrerseitige Normverunsicherung war augen-
fällig. Gerade diese Entscheidungssicherheit angesichts der sprachlichen Viel-
falt im Deutschen ist eine Kernkompetenz für DeutschlehrerInnen, denn – so
die Deutschdidaktiker Steinig/Huneke – „ein Deutschlehrer muss fähig sein,
nachvollziehbare Begründungen für die Bewertung mündlicher und schriftlicher
Äußerungen seiner Schüler geben zu können“ (Steinig/Huneke 2015, 18).
Aufgrund der ungenügenden Berücksichtigung dieses Bereichs in der Aus-
bildung bleiben sprachliche Vorbehalte und Unsicherheiten erhalten. Das von
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| Schlussbetrachtung und
Ausblick228
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256