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jedoch unter „österreichischem Deutsch“ nicht nur österreichisches Standard-
deutsch, sondern vielmehr das gesamte Deutsch in Österreich – sprich das
ganze Sprachspektrum von den in Österreich gesprochenen Dialekten über die
Umgangssprache bis hin zur Standardvarietät.
Diese Definitionsproblematik führt zu unnötigen Auffassungsunterschieden
darüber, was österreichisches Deutsch ist, und zu Missverständnissen zwischen
SprachwissenschaftlerInnen und Nicht- SprachwissenschaftlerInnen, die unseres
Erachtens dem österreichischen Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache
abträglich sind. Durch das unterschiedliche Verständnis von Bezeichnungen
verkompliziert sich das Bild davon, was österreichisches Deutsch ist, und bleibt
gleichzeitig verschwommen. Uns scheint es daher sinnvoll, diese Begrifflichkeiten
zu entflechten und im pädagogischen Diskurs klar zu definieren. Eine Möglich-
keit wäre, vom „österreichischen Standarddeutsch“ zu sprechen, wenn die Stan-
dardebene gemeint ist, während „österreichisches Deutsch“ als Oberbegriff für
alle österreichisch geprägten Sprachformen dienen könnte 2. In Analogie dazu
erscheint es naheliegend, auch von deutschem Standarddeutsch und vom Schwei-
zer Standarddeutsch zu sprechen, wenn die Standardebene angesprochen wird.
Die Daten der vorliegenden Studie sind im Wesentlichen (mit Ausnahme der
Dokumentenanalyse und der teilnehmenden Beobachtung) Selbstauskünfte der
ProbandInnen und natürlich nicht unbedingt mit dem tatsächlichen Sprachver-
halten gleichzusetzen. Was unter „Dialekt“, „Umgangssprache“, „Standardsprache“
verstanden wird, variiert vermutlich von Person zu Person. Hier wären dringend
empirische Erhebungen zur Sprachverwendung und zum tatsächlichen Sprachver-
halten im Klassenzimmer und im Raum Schule mit systematischer teilnehmender
Beobachtung notwendig (vgl. Steiner 2008 für die Schweiz; Einsatz von Video-
graphie und Transkription der Unterrichtseinheiten, Methoden wie linguistic
landscape etc.), um Aussagen treffen zu können, die über die Selbsteinschätzung
der SprecherInnen hinausgehen. Und vertiefende empirische Untersuchungen zu
arealen Unterschieden innerhalb Österreichs, v. a. Ost- West- Unterschiede, wären
nach unseren Befunden ebenso wichtig.
Abschließend sei noch einmal festgestellt, dass in den handlungsleitenden
Texten für den Deutschunterricht weder die standardsprachliche Variation im
Deutschen noch der Dialekt und die Umgangssprache fundiert thematisiert wer-
den. Da die Vermittlung eines differenzierten Sprachbewusstseins nicht allein über
die Lehrkräfte laufen kann
– weil angehende DeutschlehrerInnen wegen der feh-
lenden Stringenz im Lehrveranstaltungsangebot mit dieser Thematik während des
Studiums nicht notwendigerweise in Berührung kommen
–, ist es unerlässlich, dass
Varietäten- und Konzeptualisierungsfragen in den unterrichtsrelevanten Basisdo-
kumenten (Lehrpläne, Studienpläne), in der LehrerInnenausbildung und in den
approbierten Unterrichtsmaterialien fachgerecht und explizit verankert werden.
2 Das was beispielsweise bei Ebner (2009, 442) „Deutsch in Österreich“ genannt wird.
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| Schlussbetrachtung und
Ausblick230
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256