Seite - 22 - in WeXel oder Die Musik einer Landschaft - Das Geistliche Lied, Band 1
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Die Landschaft
Die Landwirtschaft litt unter der Abwanderung, Dörfer wurden zu Märkten, Märkte zu Kleinstäd-
ten, und neue Siedlungen wuchsen ĂĽber die brachliegenden Ă„cker und Felder hinaus. Dennoch ver-
blieb ein beachtlicher, die Kultur lebendig erhaltender Teil der Landbevölkerung, welcher die eigen-
geprägten Traditionen bis über die Zeit des Zweiten Weltkrieges weitertrug. Die Jahrzehnte nach
den schrecklichen Weltkriegen des 20. Jahrhunderts erforderten neue Wege in allen Bereichen des
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Beginnende Urbanisierung und das Verlassen der
Dörfer aufgrund fehlender Arbeitsplätze, verbunden mit steigender Mobilität, führten auch im Wech-
selgebiet zu grundlegenden Veränderungen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben.
Der vorliegende Band über die bei der Totenwache gesungenen „Leichhüatlieder“ dokumentiert
Sammlung und Forschung von beiden Seiten des Wechsels. Zu den Aufzeichnungsorten auf der steiri-
schen Seite zählen Arzberg bei Waldbach, Bruck an der Lafnitz, Dechantskirchen, Dorfstatt, Ehren-
schachen, Festenburg, Fischbach, Friedberg, Hohenau, Kroisbach, Mönichwald, Pinggau, Rettenegg,
Rohrbach an der Lafnitz, St. Jakob im Walde, St. Lorenzen am Wechsel, Schäffern, Schlag, Thal, Thal-
berg, Vorau, Vornholz und Wenigzell. Für die niederösterreichische Seite seien die Rotten Hasleiten,
Hollabrunn und SteinbĂĽchl der Gemeinde Feistritz, Hochegg bei Grimmenstein, die Orte Aspang und
Kirchberg am Wechsel, Mariensee, Mönichkirchen, Otterthal, St. Corona am Wechsel, St. Peter am
Wechsel und die Rotten Außer-Neuwald, Hottmannsgraben und Trommelschlägergraben, Trattenbach
sowie Egg und Raach genannt. Diese waren ebenso wie die im Dreiländereck Niederösterreich-Bur-
genland-Steiermark liegenden Ansiedlungen Götzendorf, Gschaidt und Hochneukirchen sowie die in
der angrenzenden Buckligen Welt liegenden Rotten, Dörfer und Märkte Grüb bei Grimmenstein, Kam-
pichl / Aspang – Zöbern, Kirchschlag, Krumbach, Petersbaumgarten, Zöbern und Zöbersdorf Zentren
des Singens bei der Totenwache. Auf beiden Seiten des Wechsels blieb dieses Liedgut – über das Ende
dieses Brauches hinaus – in unterschiedlichen Überlieferungsformen erhalten.
Sichtbare Zeichen der gelebten bäuerlichen Glaubens in den Landschaften des Wechsels sind neben
den bei zahlreichen Höfen Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Hauskapellen die auf einigen – dem
Wetter ausgesetzten – Anhöhen aufgestellten „Wetterkreuze“. Nach alten Glaubensvorstellungen hal-
fen sie, Hagel und andere zerstörerische Unwetter abzuwehren. Sie sind auch heute vom Beginn der
Saat bis zur Ernte Orte für Gebetsandachten der bäuerlichen Bevölkerung.33
Diese „Wetterkreuze“ sind jederzeit auf Anhöhen errichtet u bestehen in 3 nebenan stehenden hoch auf-
ragenden, gezimmerten Kreuzen, von denen das mittlere noch höher als die 2 Nebenkreuze ist. Sie sind
roth angestrichen, u ohne Figur darauf, auf dem mittleren jedoch befinden sich die verschiedenen Leiden
Werkzeuge, aus Blech geschnitten, angeheftet. Bei Errichtung derselben stehen gewöhnlich mehrere Nach-
barn zusammen, u bestreiten gemeinschaftlich die Kosten der Errichtung. Nach vollendeter Aufstellung
der Wetterkreuze werden dieselben in den verschiedenen Gegenden wie auch die sonstigen häufigen Feld-
kreuze und Feldkapellen an Ort u Stelle kirchlich „eingeweiht“ u gesegnet, verschiedene Gebethe verrich-
tet, u zum Schlusse das Kreuz von allen Anwesenden geküßt. […] Daß die sogenannten „Wetterkreuze“ hier
so vielseitig errichtet werden, hat seinen Grund darin, weil die hiesige Gegend im Sommer gar so oft mit
Hagelschlag heimgesucht wird. Man kann sagen, es vergeht hier kein Jahr, daĂź nicht die eine oder andere
Gegend der ausgedehnten Gebirgspfarre durch den Hagel beschädigt würde.
(Pfarrchronik Schäffern 1870, S. 517)
Wetterkreuze aus jĂĽngerer Zeit stehen auf der steirischen Seite des Wechsels einzeln mit drei unglei-
chen Querbalken ähnlich der Form des „Papstkreuzes“. Manche erneuerte Wetterkreuze auf der nie-
derösterreichischen Seite des Wechsels vereinen die Form des Wegkreuzes, auf welchem der gekreu-
33 Sieder 1, S. 95.
WeXel oder Die Musik einer Landschaft
Das Geistliche Lied, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- WeXel oder Die Musik einer Landschaft
- Untertitel
- Das Geistliche Lied
- Band
- 1
- Autoren
- Erika Sieder
- Walter Deutsch
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79584-1
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 648
- Schlagwörter
- Wechselgebiet, Geistliches Lied: Leichhüatlieder, bäuerliche Tradition der Totenwache, historische Tondokumente, Wörterbuch, Melodienincipits
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- AbkĂĽrzungen 10
- Zum vorliegenden Band 12
- Die Landschaft 18
- Der Totenbrauch 24
- 1. Die Totenwache 26
- 2. Das Begräbnis und das Totenmahl 33
- 3. Das Singen 38
- 4. Das Liedgut und seine Quellen 40
- 5. Die Liedgattungen 47
- Die Sammlung: Lei(ch)hüat- / Leichwåcht-Liadln – Lieder zur Totenwache 59
- Anmerkungen zur Edition der Lieder 60
- Johannes Leopold Mayer
- Zusammenfassung
- Register für das Wechselgebiet und die angrenzenden Regionen in Niederösterreich und in der Steiermark
- Allgemeines Register
- a) Ortsregister 601
- b) Personenregister 607
- Sachregister 613
- Register der Liedanfänge, Sammelorte und Tonaufzeichnungen 618
- Inhaltsverzeichnis und Begleittext zu den beiliegenden Tondokumenten 629
- Sängerinnen, Sänger und Vorbeter der Tonaufzeichnungen 630
- Inhaltsverzeichnis zu den beiliegenden CDs 632
- Autoren und Mitarbeiter 640