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etwa in der Einstellung auf Herr, Rache, Ressentiment. Die Selbständigkeit österrei-
chischer Kultur kann wohl behauptet und verfochten werden : aber nur als ein leben-
diges Glied der deutschen Kulturfamilie. (Paradox ausgedrĂĽckt : der kulturelle An-
schluß eines befreiten Deutschland an Österreich muss vorbereitet werden.) […]
Dazu braucht man zuerst einmal ein demokratisches Ă–sterreich : kein kaiserliches und
kein klerikales. Solche Pläne und Möglichkeiten müssen bekämpft werden.39
1945 kam es nun zu einem demokratischen Österreich – jedenfalls formal, denn
wirkliches demokratisches Bewusstsein hatte es in Ă–sterreich noch lange
schwer – aber im Zuge der konzentrierten außen- und kulturpolitischen Ab-
grenzung von Deutschland lag der von Viertel befĂĽrchtete RĂĽckgriff auf ein
kaiserliches und klerikales Österreich jedenfalls kulturell näher. Selbst der Kom-
munist Ernst Fischer verherrlichte in seiner 1945 in Wien publizierten Schrift
Die Entstehung des österreichischen Volkscharakters die Habsburger und erklärte,
dass die »preußisch-deutsche faschistische Ideologie« speziell auf die WienerIn-
nen sowieso weniger »abgefärbt« hätte.40 Mit einem ähnlich restaurativen Patri-
otismus schlossen die dem Kaiserlich-Klerikalen ohnehin eng verbundene öster-
reichische Volkspartei und die Konservativen im weitesten Sinne an das
katholisch-bäuerliche, monarchie-nostalgische Österreich-Bild des Dollfuß/
Schuschnigg-Regimes an.41 In der Zwischenkriegszeit hatten solch patriotische
»Österreichideologien« in ihrer aggressiven Antimodernität kaum über Kern-
schichten hinausgewirkt.42 1948 begann dieses konservative »Elitenprojekt« je-
doch kulturell hegemonial zu werden.
Ende 1948, als Berthold Viertel zurückkehrte, verstärkte sich der Trend, »ei-
nen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen« nochmals »merklich«. Die
Zahl der FreisprĂĽche in Entnazifizierungsprozessen war im vergangenen Jahr
deutlich angestiegen und das neue »Nationalsozialistengesetz« (NSG) unter-
schied nun zwischen »Belasteten« und »Minderbelasteten«. Die »Minderbelas-
teten« wurden im April 1948 generell amnestiert.43 Im Hinblick auf die
National ratswahlen 1949 begann ein Kampf der drei Parteien um das Wähler-
potential der fast 500.000 »minderbelasteten« NSDAP-Mitglieder und ihrer
Angehörigen. Mit dem nur wenig später gegründeten Verband der Unabhängi-
39 BV, o.T. [1.) Rein liter. Zeitschrift kann ich mir], in : Arbeits-/Notizheft »Lamm des Armen_Januar
1944 (Santa Monica) / Januar 1945 (New York)«, o.S., K4, A : Viertel, DLA.
40 Fischer, Ernst, Die Entstehung des österreichischen Volkscharakters, Wien 1945, 4 und 15–20. Die
»österreichische Nation« war schon vor dem Zweiten Weltkrieg ein Projekt der Kommunistischen
Partei gewesen, vgl. Alfred Klahr, Zur österreichischen Nation, Wien 1994.
41 Rathkolb, Paradoxe Republik, 2005, 36.
42 Huemer, Peter, Wie man Ă–sterreich erzeugt, in : Die Presse, 22. Oktober 2010.
43 Rathkolb, Paradoxe Republik, 2005, 396.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359