Seite - 94 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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94 | Berthold
Viertels
Rückkehr
in
die
österreichische
Moderne
Für Personen, die sich nicht klar in einem ideologischen Lager verorteten, war
im Österreich des Kalten Krieges, in dem »nur mehr die jeweiligen Images«
galten, ebenso wenig Platz wie für differenzierende Erinnerungen.91 Insgesamt
wurde in dieser Zeit wohl die Spannung zwischen Viertels autobiografischem
Schreiben und seiner beruflichen, öffentlichen Position zu groß.92 Nicht zuletzt
aufgrund seines enormen Arbeitspensums, ständiger Wohnungswechsel und
zunehmender gesundheitlicher Probleme gestaltete sich eine fertige Ausarbei-
tung des autobiografischen Projekts immer schwieriger. Die autobiografischen
Texte und das neue Konzept füllten also in dieser Zeit also Viertels Schreib-
tischschubladen, ohne ein Publikum zu erreichen.
Direkt nach Viertels Ankunft in Wien dürften die wesentlichsten Texte ent-
standen sein, die dann vor allem in »schlaflosen Stunden« und in den Sommer-
ferien – sofern Viertel nicht inszenierte – langsam ergänzt und aus- beziehungs-
weise wieder umgearbeitet wurden.93 Eine Wiederbegegnung mit bekannten
Orten oder alten Freunden, wie etwa mit Alois Grünberger oder Alfred Polgar,
konnte neue Schreibimpulse auslösen. Teilweise hatten die autobiografischen
Fragmente nun Briefcharakter. Und es wurden vielfach Abschriften angefertigt,
um das Projekt für eine Publikation fertig zu machen. Es gelang Viertel jedoch
nicht mehr, die Fragmente endgültig zu ordnen oder zumindest skizzenhaft
abzuschließen.
Dafür wurden noch zwei bürokratische Auseinandersetzungen mit der neuen
Republik Österreich nach einigen Hürden erfolgreich abgeschlossen. Zum
einen wurden ihm und seinen Schwestern und Nichten die durch die Eltern
vererbten Zinshäuser in der Hietzinger Hauptstraße 55 und 55a im Jänner 1951
nach dem Ersten Rückstellungsgesetz vom 26.
Juli 1946 restituiert, nachdem ein
»nicht redlicher« Verkauf nach 1938 nachgewiesen werden konnte und zudem
das Geld nie ins Ausland überwiesen worden war.94
Zum anderen erlangte er im Oktober 1952 wieder die österreichische Staats-
bürgerschaft, obwohl Unterrichtsminister Ernst Kolb sein im Juni eingereichtes
91 Rathkolb, Oliver, Planspiele im Kalten Krieg. Sondierungen zur Kultur- und Theaterpolitik der Al-
liierten, in : Haider-Pregler/Roessler (Hg.), Zeit der Befreiung, 1998, 40–64, 47.
92 Roessler, Doppelkonfrontation, in : Thunecke (Hg.), Echo des Exils, 2006, 344–361, 351.
93 BV, [Reserl], in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 243.
94 Unter Druck standen damals vor allem Viertels noch in Wien verbliebene Schwester Paula Heim,
die von der SA zu »erniedrigenden Arbeiten« gezwungen worden war, und ihr Mann, Dr. Georg
Heim, der ebenfalls misshandelt worden war. Vgl. BV, Steuerakt VA 62724, Archiv der Republik (in
Folge AdR), Österreichisches Staatsarchiv (in Folge : ÖStA) ; Konrad Zembaty an BV, 1949–1951,
68.2873, K46, A : Viertel, DLA ; Löffler, Marion, Restitution. Wiedergutmachung übersetzt in die
Sprachen der Alliierten. Antisemitische Konnotationen einer Begriffsdebatte, Prager/Straub (Hg.),
Bilderbuch-Heimkehr ?, 2017, 203–216.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359