Seite - 127 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Monarchisches
Gefühl | 127
Viertel brachte diesem eigentlich sehr unbeliebten Habsburger und seinem
»völlig törichten, kopflosen und echt österreichischen Heroismus« scheinbar
doch Sympathie entgegen.44 Das legt jedenfalls ein Drehbuch über das Thron-
folgerehepaar nahe, das um 1937 entstanden sein dürfte. Zum einen ist dazu
anzumerken, dass auch Viertels Vorbild Karl Kraus Franz Ferdinand eher positiv
beurteilt hatte, zum anderen ist zu berücksichtigen, dass gewisse Klischees und
Verklärungen aus dem Genre resultieren.
Insgesamt ist aber festzuhalten, dass Viertel seine »Sohnesgeneration« als die
erste empfand, deren »monarchisches Gefühl« weit weniger ausgeprägt war und
die »den ganzen Lärm« nicht ernst nahm : »Uns kümmerte diese aus so vielen
Indiskretionen zusammengesetzte Monarchie wenig. Wir wussten nicht, dass
wir für sie in den Krieg ziehen würden.«45 Der wie Viertel 1885 in Wien gebo-
rene Regisseur Erich von Stroheim stellte später in seinen Filmen diese hierar-
chisch-monarchische Welt und ihre Repräsentationen sorgfältig nach, um ihre
Absurdität sichtbar zu machen.46 Auch für Viertel war das »monarchische Ge-
fühl« etwas höchst »Widersprüchliches« und »Absurdes« :
[D]as Wesentliche daran sind Begriff und Atmosphäre einer glorreichen Korruption,
in die wir Kinder des Wiener Bürgertums hineinwuchsen, gleichviel, ob wir der ka-
tholischen oder der israelitischen Religionsgemeinschaft angehörten. […] [Alle El-
tern] empfanden die österreichisch-ungarische Monarchie als den Privatbesitz einer
erlauchten, deshalb aber doch menschlichen Familie. Der darin enthaltene Wider-
spruch störte sie nicht ; das Absurde daran enthielt eine Art Sicherung auf Lebens-
dauer. War die Dauerhaftigkeit trotz aller Schwächen des Systems erwiesen, so konnte
man sich nur umso mehr auf sie verlassen.47
Trotz oder aufgrund seiner Widersprüchlichkeiten überdauerte das »monarchi-
sche Gefühl« in Film, Literatur und gesellschaftlichen Nischen sogar das Ende
der Monarchie.48 Zuletzt wurden am 18.
Juli 2011 Reste davon tagesaktuell. Das
44 BV, Österreichische Illusionen/Der Knabe Robert Fürth, o.D., o.S. und vgl. BV, Thronfolger-Ge-
schichte (Fragment), o.S., o.D
– beides : NK12, A : Viertel, DLA.
45 BV, Erinnerungen eines November-Verbrechers, o.D., 294, K19, A : Viertel, DLA. Dieser Einschät-
zung ist mit Blick auf Texte von Albert Ehrenstein, auf Filme von Erich von Strohheim und auf
Karl Kraus’ zentralen Text Die letzten Tage der Menschheit zuzustimmen. Gerade bei Kraus ließ sich
jedoch nachweisen, dass er sich der Dynastie Habsburg gegenüber auch noch im Ersten Weltkrieg
erstaunlich lange loyal verhielt (Timms, Kraus, 1999, 530–548).
46 Heiß, Gernot, Erich von Stroheim : Wien in Hollywood. Erinnerung, Wirklichkeit, Fiktion, in :
Ehalt u.a. (Hg.), Glücklich ist …, 1986, 247–283, 255 und 266.
47 BV, Wiederkehr des kleinen Lebens, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 44–45,
48 Vgl. Cole, Lawrence, Der Habsburger-Mythos, in : Brix u.a. (Hg.), Memoria Austria, 2004–2005, 473–
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359