Seite - 136 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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je eines«. Von Viertels in Tarnów verbliebenen Onkeln und Tanten, Cousins und
Cousinen muss in Ermangelung anderer Daten weiterhin angenommen werden,
dass sie beziehungsweise ihre Nachkommen durch die NationalsozialistInnen
ausgelöscht wurden.
Die Familie der Mutter, die Klausners, stand Berthold Viertel – schon geo-
grafisch – wesentlich näher als seine Familie väterlicherseits. Die gesamte Fami-
lie Klausner war bereits in den frĂĽhen 1870er-Jahren von Galizien in die Wiener
Leopoldstadt umgezogen. Viele von Viertels autobiografischen Geschichten
handeln daher von den Tanten und Onkeln des Klausnerschen Zweigs :
Henoch Berl/Heinrich Klausner (*15.05.1836, †27.04.1917) – seinem Enkel
zufolge »Haus- und Familiendiener« und ein »unpraktischer Mann«29 – wurde
in Grybów, etwa 60 Kilometer von Tárnow entfernt, geboren und heiratete am
9. März 1860 in Tárnow die »bäuerliche, einst schöne, umworbene« Esther
Dvora/Ernestine Dorf – »in gewissem Sinn biblische Patrarchin. Großzügiger,
erdfrischer Optimismus«. Sie wurde entweder am 15. März 1836 in Tárnow
oder um 1840 in Dombrowa, dem heutigen DÄ…browa GĂłrnicza, geboren, das
160Â
Kilometer von Tárnow entfernt liegt und damals unter russischer Herrschaft
stand.30 In der Tárnower Gegend kamen fünf der insgesamt sieben nachweisba-
ren Kinder des Paares zur Welt.
Kressel/Anna (*08.06.1861, †25.03.1932), Viertels Mutter, war die Älteste.
Die zweite Tochter Chawe/Eva (*05.06.1863, †08.04.1918) wurde von Viertel
als »die Närrin« erinnert – sie »heiratet einen breitschultrigen Mann, lebt und
stirbt in engen Grenzen«.31 Der älteste Sohn Chaim Leib/Leopold Klausner
(*28.05.1865, †?) war Privatbeamter und ist in Viertels Aufzeichnungen nie klar
von seinem fast gleichnamigen jĂĽngeren Bruder Leo Klausner zu unterscheiden.
Die dritte Tochter, Feige/Fanny (*13.12.1869, †04.02.1934), soll eine »blonde,
volle Schönheit« gewesen sein – mit ihr teilte der Neffe Berthold als Knabe ein
Zimmer. Ihre Lebensgeschichte war für Viertel der »tragischste Fall« unter den
familiären Aufstiegs- und Abstiegsgeschichten, den er wiederholt schilderte.32
Der zweite Sohn Nathan Klausner (*1868, †?), ein Kaufmann, tauchte wiede-
rum in Berthold Viertels Erzählungen gar nicht auf.33 In Wien folgten noch
29 BV, Tod der LĂĽge, 1. Tagebuchblatt am 5. Juli 1906, 69.3142/1, K28, A : Viertel, DLA.
30 Zu den abweichenden Geburtsdaten vgl. Kopie Sterbeurkunde, K21, A : Viertel, DLA bzw. http://
www.kehati.co.il/Dorf/DorfUnCon.htm (zuletzt : 21.11.2016) ; Letzteres basierend auf einer Hei-
ratsurkunde nach Jewish Records Indexing fĂĽr Polen (JRI-PL Film 948422 M # 9).
31 Vgl. Kaiser/Roessler/Bolbecher (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 42 u. 295. Dem Trauungsbuch der
IKG Wien (1892, RZ 447) zufolge, heiratete sie am 28.08.1892 den Commis Isaak Blonder
(*10.06.1866, †09.02.1932) ; Salomon Viertel war Treuzeuge.
32 Vgl. Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 42 u. 295.
33 Verlassenschaftsabhandlung nach Heinrich Klausner, (BG Neubau, A4/6 : 6A 364/17), WStLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359