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Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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  Katholische  Dienstmädchen |  159 druck, wenn das beschriebene Dienstmädchen zum einen (wie für die »Väter«) ein »Instinktgeschöpf« blieb, zum anderen aber die sexuellen »Konventionen« Wiens um 1900 (jedenfalls im Rückblick) hinterfragt wurden. Ein letzter ungewöhnlicher, der libidinösen Besetzung aber nicht widerspre- chender Aspekt von Viertels Imagination des »österreichischen Dienstmäd- chens« war ihre Rolle als Vermittlerin deutschen (Volks-)Kulturguts »mit viel Anklang an die österreichische Mundart«38. Im autobiografischen Projekt ist es die Nachfolgerin der (verstorbenen) Amme »Marie«, die dem Knaben das Christentum »einflößte« : Es könnte sich aber auch um dieselbe Frau handeln. Während diese Hausangestellte nämlich ihre körperlich herausfordernde Arbeit verrichtete, sang sie Wienerlieder oder Lieder von Schubert, rezitierte Balladen von Schiller und Uhland  – Der Taucher, Der Kampf mit dem Drachen, Die Bürg- schaft, Des Sängers Fluch  – und erzählte Märchen. Der kleine Berthold, etwa fünf oder sechs Jahre alt, lag neben ihr, lauschte und lernte. Die Eltern staunten, wenn er später beim Abendessen »unaufgefordert die Verse hersagte«39. Für Berthold Viertel war also  – und das ist erstaunlich  – das Dienstmädchen die erste Trägerin deutscher Sprachkultur : »Es war eine heroische Welt, in die sie mich einführte, die Welt des deutschen Idealismus  – eine Welt des Hochsinns, der Großmut, der Treue, der Selbstaufopferung  – eine Welt, die jedes Kind versteht  – an die nur ein Kind glauben kann.«40 Eines von Viertels bekanntesten Gedichten verdichtet diese Geborgenheit im katholischen Wien und in der deutschen Sprache und Kultur, die auch Vertreibung und Exil nicht kappen konnten : Zurück, zurück, ein Kind zu sein ! / Schon hüllt das graue Tuch mich ein. / Ich liege auf dem Küchenschrank, / Die Köchin wäscht die Teller blank, / Marie ! Fast jede hieß Marie. / Wien war katholisch, so wie sie. Ich lag auf ihrem Tuch. / Sie wusste um des Sängers Fluch, / Die Bürgschaft und den Taucher, und / Es geht ein Rad im Wiesengrund, / Es plätschert die Forelle, / Hinaus zog der Geselle. 38 BV, Österreichische Illusionen/Der Knabe Robert Fürth, o.D., o.S., NK12, A : Viertel, DLA. 39 BV, Harry Heine und BV, Wiederkehr des kleinen Lebens, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 66 und 43. 40 Ibid., 66. Pauleweit kritisierte, dass die Bedeutung, die Lesen und andere intellektuelle Anregun- gen für Dienstboten hatten und die in den autobiografischen Texten der Dienstmädchen sichtbar werden, in der Literatur über sie nicht vorkommen. Viertels autobiografischer Text bringt hier ein Gegenbeispiel, das plausibel macht, wie jüdische Kinder mit deutscher (Volks-)Kultur in Berührung kamen und begannen, sich dieser »heroischen Welt« zugehörig zu fühlen (Pauleweit, Dienstmäd- chen, 1993, 266.).
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Berthold Viertel Eine Biografie der Wiener Moderne
Titel
Berthold Viertel
Untertitel
Eine Biografie der Wiener Moderne
Autor
Katharina Prager
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20832-7
Abmessungen
15.5 x 23.2 cm
Seiten
368
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Ein chronologischer Überblick 7
  2. Einleitend 19
  3. 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
    1. Außerhalb Österreichs – Die Entstehung des autobiografischen Projekts 47
    2. Innerhalb Österreichs – Konfrontationen mit »österreichischen Illusionen« 75
  4. 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
    1. Moderne in Wien 99
    2. Monarchisches Gefühl 118
    3. Galizien 129
    4. Jüdisches Wien 139
    5. Katholische Dienstmädchen 150
    6. Deutsche Kultur 161
    7. Luegers Wien 173
    8. Mitschüler Hitler 184
    9. Jugendliche Kulturanarchisten 196
    10. Familie Adler 209
    11. Studium 228
    12. Sexuelle Emancipation 245
    13. Karl Kraus 268
    14. Theater 291
    15. Erster Weltkrieg 310
    16. Nachsatz 333
    17. Archivalien 336
    18. Dank 342
    19. Literaturverzeichnis 344
    20. Bildnachweis 358
    21. Personenregister 359
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