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Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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  Mitschüler  Hitler |  187 Diese Gemütsentwicklung wollte er durchaus auch seinen Söhnen zuteilwerden lassen, denen er das Buch im November 1932 nach Amerika schickte. Obwohl es »deutschtümel[e]«, öffne es doch »eine Menge Horizonte, europäische Hori- zonte« und werde ihnen ein »Gefühl für die europäische Geschichte« geben.16 Viertel ahnte da sicher noch nicht, wie treffend diese Einschätzung war, denn europäische Geschichte stand Ende 1932 kurz davor, mit den romantischen Fiktionen von Völkern und Rassen à la Felix Dahn tödlichen Ernst zu machen. Dazu hatten freilich nicht nur pathetische Romane beigetragen : Rassen- kunde als neue »Wissenschaft«, angesiedelt im Grenzbereich zwischen Biologie, Medizin, Anthropologie und Ethnologie, ging seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend von naturgegebenen und erblichen Rangunterschieden zwischen einzelnen menschlichen Großgruppen aus. Ganz im Geist des Modernisie- rungsprojekts Nation war dieser Rassenglaube um 1900 bereits zum festen Bestandteil abendländischer Bildung geworden und unterfütterte »wissenschaft- lich« Vorstellungen von einem Volksgeist, von Blutsverwandtschaft und gemein- samen Geschichtsboden.17 Rassenkunde als simples Homogenisierungsmodell und primär visuelle Ideologie wurde bereits in der Schule gelehrt und auch Berthold Viertel begegnete ihr erstmals in einem Schulbuch. Menschenrassen nannte Viertel die bereits erwähnte Geschichte, die von dem Schockerlebnis berichtete, schlafend bei den orthodoxen jüdischen Großeltern zurückgelassen zu werden. Vor allem ihr Titel und ihr Ende sind hier interessant : Um den schockierten Knaben Berthold morgens zu trösten, gab ihm die Großmutter das bebilderte Geografiebuch ihres jüngsten Sohnes, des Gymnasiasten Leo Klaus- ner in die Hand : Dort waren die verschiedenen Menschenrassen abgebildet, mit ihren typischen Köp- fen und Antlitzen, ihren Landschaften und Behausungen, ihren Werkzeugen und Schmuckgegenständen. Und dies war es, was dem Knaben plötzlich die Fremde, ge- gen die sich noch eben sein Herz verkrampft hatte, in ein Paradies verwandelte : das noch Fremdere, ja das Exotische, und doch geheim Vertraute, heimelte ihn an. […] Die voneinander sonderbar verschiedenen und doch so ähnlichen Menschenköpfe dämmerten dem Knaben damals in einer empfänglichen Stunde. […] Es war vierund- zwanzig Jahre vor dem ersten Weltkrieg und dreiundvierzig Jahre vor jener Epoche, da so viel Kinder, ihrer Rasse wegen, sich noch ganz anders einer unvergleichlich 16 BV an Salka Viertel, o.D. [wahrscheinlich 9. November 1932], 78.860/21, K34, A : Viertel, DLA. 17 »Mit der Bindung von politischer Legitimität eines Gemeinwesens an die Homogenität der Bevöl- kerung wird die Herstellung und Wiederherstellung eines ›Volkes‹ zum politischen Thema.« (Ba- der-Zaar/Gehmacher, Öffentlichkeit und Differenz, in : Gehmacher/Mesner (Hg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte, 2003, 165–182, 175).
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Berthold Viertel Eine Biografie der Wiener Moderne
Titel
Berthold Viertel
Untertitel
Eine Biografie der Wiener Moderne
Autor
Katharina Prager
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20832-7
Abmessungen
15.5 x 23.2 cm
Seiten
368
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Ein chronologischer Überblick 7
  2. Einleitend 19
  3. 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
    1. Außerhalb Österreichs – Die Entstehung des autobiografischen Projekts 47
    2. Innerhalb Österreichs – Konfrontationen mit »österreichischen Illusionen« 75
  4. 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
    1. Moderne in Wien 99
    2. Monarchisches Gefühl 118
    3. Galizien 129
    4. Jüdisches Wien 139
    5. Katholische Dienstmädchen 150
    6. Deutsche Kultur 161
    7. Luegers Wien 173
    8. Mitschüler Hitler 184
    9. Jugendliche Kulturanarchisten 196
    10. Familie Adler 209
    11. Studium 228
    12. Sexuelle Emancipation 245
    13. Karl Kraus 268
    14. Theater 291
    15. Erster Weltkrieg 310
    16. Nachsatz 333
    17. Archivalien 336
    18. Dank 342
    19. Literaturverzeichnis 344
    20. Bildnachweis 358
    21. Personenregister 359
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