Seite - 221 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Familie
Adler | 221
ausschlaggebend dafür, Berthold Viertel ebenfalls bei Laemmel unterzubringen.
Ursprünglich ging es Victor Adler bei der Entscheidung für Zürich nämlich
darum, Karl aus dem »Wiener Milieu« zu entfernen : »Freilich schleppt er ein
Stück davon leider mit, diesen Berthold, der ein ganz guter Junge sein mag, aber
für Karl eine Gefahr, weil er ein ebenso schrecklicher und ungebildeter Bursch
ist, wie er selber.«69
– Als so ungebildet und schrecklich, wie Victor Adler meinte,
nahmen Kathia und Fritz Adler den jungen Viertel allerdings nicht wahr. Sie
beobachteten, dass Karls Freund »etwas anders« und »weniger kindisch« war
– er
war vor Karl »schon zu der Überzeugung gekommen, dass er doch vor allen
Dingen studieren wolle.«70
Ende August 1903 kamen Victor und Emma Adler in die Schweiz und nun
wurde geregelt, dass Karl und Berthold ab September wie Studenten – aber
unter genauer Kontrolle durch Laemmel und ein eingeschränktes Budget – in
einer Zürcher Pension leben, lernen und innerhalb der nächsten Monate die
Maturitätsprüfung ablegen sollten. Victor Adler übernahm die Schulkosten für
beide jungen Männer.71
Das studentische Leben in Zürich, das er später als sein »erstes Exil« bezeich-
nete, und die freie Lehrmethode Laemmels, »die sich von der meiner Wiener
Professoren wesentlich unterschied«, sagten Berthold Viertel sehr zu.72 Ihren
bisherigen Lebensstil, ihre Theorien und künstlerischen Ambitionen gaben
Viertel und Adler zwar nicht auf, aber Viertel, der allein in einem »herrlichen
Mansardenzimmer« in der Clausiusstraße 44 wohnte, lernte acht Stunden täg-
lich : »Denn Anfang Dezember wird maturiert !« – In einem Brief an seinen
»lieben Armin«, Hermann Wlach, den sein Vater »um keinen Preis« in die
Hände kriegen sollte, beschrieb Viertel sein Zürcher Leben : Abseits des Ler-
nens versuchte er weiterhin Geld zu verdienen, indem er selbst Stunden gab und
in den Weinbergen arbeitete.73 Es mag sein, dass seine Eltern ihm vorerst noch
nicht verziehen hatten und ihn wenig oder gar nicht finanziell unterstützten.
Am 19. Dezember 1903 bestand Berthold Viertel die kommissionelle Matu-
raprüfung. Karl Adler fiel wiederum durch, aber Viertels Noten waren erstaun-
69 Victor Adler an Friedrich Adler, 15. August 1903, M71, T1, Adler Archiv, VGA.
70 Friedrich Adler an Victor Adler, 30. Juli 1903 und Kathia Adler an Victor Adler, 3. August 1903,
M76, T4, Adler Archiv, VGA.
71 Karl Adler an BV, 6. Juli 1932, 69.2117, A : Viertel, Salka, DLA.
72 BV, Aus einem im Schutzverband …, in : Ginsberg (Hg.), Dichtungen und Dokumente, 1956, 390.
73 BV an Hermann Wlach, o.D., H.I.N. 227997, Sammlung BV, HS, WBR. Dem Brief ist auch zu
entnehmen, dass Viertel nach wie vor die Aktivitäten seines Idols Altenberg verfolgte, denn er ver-
langte genauen Bericht über die eben erschienene Halbmonatsschrift Kunst, deren Redaktion Al-
tenberg übernommen hatte.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359