Seite - 235 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
Bild der Seite - 235 -
Text der Seite - 235 -
  Studium |  235
ten, den Zugang zur Universität zu verwehren.33 Zwischen 1904 und 1908 kam
es mehrfach zu Gewalteskalationen und »exzessive Prügeleien« waren an der
Tagesordnung und Viertel schrieb :34 »An der deutschen Universität Wiens er-
lebte ich […] den Hinauswurf der Juden durch deutsche Studenten.«35 Die
Universität »gehörte« den deutschnationalen Verbindungen und zumindest po-
litisch, meinte Viertel später, habe er sich in Opposition zu diesem Klima wei-
tergebildet.36
Es gab allerdings »Alternativen« zur universitären Lehre, die Berthold Viertel
für sein »Studium« als wesentlich bedeutender einstufte : Intellektuelle Kreise
entwickelten um 1900 jene Ideen, die sich an der Universität nicht entfalten
konnten und wurden damit zu den eigentlichen Zentren des Strukturwandels der
Ă–ffentlichkeit (JĂĽrgen Habermas).37 Schon in seiner Schulzeit war Viertel in
diesen Kreisen gut vernetzt gewesen und hielt auch im Zürcher »Exil« Kontak-
te.38 In seiner Studienzeit besuchte er weiterhin Richard A. Bermanns Verein fĂĽr
Ethik und Literatur, wo er etwa mit Leo Perutz diskutierte :
Perutz sagte, dass wir Juden von der Gegenwart Europas und von der Zukunft nichts
verstünden, wir wären um die Vergangenheit betrogen worden und müssten nachho-
len. (Ich klatschte innerlich lebhaftest Beifall). […] Ich sagte, dass es Gegenwarts-
Zeiten gäbe (ich beschränkte mich auf Literatur : Klassiker, Renaissance, Präraffaeli-
ter), da mit berauschendem GlĂĽcksgefĂĽhl positives Leben emporblĂĽhe. Andere Zeiten,
die Material sammeln, die verrichten und versuchen und noch unausgenĂĽtzte Vergan-
genheiten erschöpften.39
Ein anderer Knotenpunkt der progressiven Wiener Szene war der Kreis um die
drei Lang-Kinder, dem Berthold Viertel schon vor 1903 durch Karl Adler nahe-
kam. Die Mutter Marie Lang war im Allgemeinen Ă–sterreichischen Frauenverein
aktiv, gab 1899 bis 1902 mit Rosa Mayreder und Auguste Fickert Die Doku-
mente der Frauen heraus und versuchte, die englische Settlement-Bewegung
33 Hanisch, Die Wiener RingstraĂźe, in : Brix/BruckmĂĽller/Stekl (Hg.), Memoria Austriae I, 2004,
75–104, 80.
34 Rathkolb, Oliver, Gewalt und Antisemitismus an der Universität Wien und die Badeni-Krise 1897.
Davor und danach, in : Rathkolb (Hg.), Antisemitismus, 2013, 69–92.
35 BV, Harry Heine, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 69 und 311.
36 Ash, Mitchell G., Die Universität Wien in den politischen Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhun-
derts, in : Ash, Mitchell G. und Ehmer, Josef (Hg.), Universität, 2015 : UniversitätÂ
– PolitikÂ
– Gesell-
schaft, Wien 2015, 29–172.
37 Timms, Dynamik der Kreise, 2013, 62–64.
38 BV an Hermann Wlach, o.D., H.I.N. 227.997, Sammlung BV, HS, WBR.
39 BV, Tod der LĂĽge, 1. Tagebuchblatt am 5. Juli 1906, 69.3142/1, K28, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359