Seite - 240 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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fung zum Kunstmaler in sich fühlte, war dem nur wenige Jahre älteren Berthold
Viertel noch immer nicht wirklich klar, wohin er beruflich wollte. 1908 konnte
eine Entscheidung aber aufgeschoben werden, denn Viertel musste ab 1. Okto-
ber seinen einjährigen militärischen Präsenzdienst ableisten. Schon im März
1906 war er als Einjährig-Freiwilliger »assentiert« und dem Trainregiment Nr. 1
der Landwehr zugeteilt worden. Er gehörte damit zu den wenigen Stellungs-
pflichtigen, die tatsächlich eine militärische Ausbildung erhielten.58
Die Traintruppe, die 1880 nach deutschem Vorbild das Militärfuhrwe-
senskorps abgelöst hatte, war für das militärische Transportwesen – den Nach-
schub und die Versorgung der Truppe mit Proviant und Munition – zuständig.
Man trug zwar den Kavalleriesäbel, doch generell war die Train bei der Ausstat-
tung mit Waffen benachteiligt. SchlieĂźlich wurde sie auch nicht direkt im
Kampf eingesetzt.59 Insofern waren die Trainregimenter keine Regimenter, die
als besonders schillernd oder heldenhaft wahrgenommen wurden. Auch Bert-
hold Viertel betonte später immer wieder, dass er zwar »wie ein Soldat aussehe«,
aber keiner sei : »Erstens kämpfe ich nicht […], sondern gehöre zum Train, der
die Truppen mit Proviant und Munition versorgt. Und auch das tue ich nicht
mehr persönlich, auf Märschen zum Depot oder zur Front […]. Ich diene in
einer Kanzlei […]. Das ist nicht romantisch.«60
Dennoch war der Militärdienst, den er wahrscheinlich in der neu errichteten
Meidlinger Trainkaserne in der Ruckergasse 62 ableistete, fĂĽr Viertel neben
Uni versität und Kaffeehaus die dritte wesentliche Erfahrung seiner Studienzeit.
Beim Exerzieren und in Manövern wurde Disziplin eingeübt und zur »Pflicht
der Tapferkeit« erzogen. Er durfte im Mai 1909 …
[…] zur Feier der Schlacht von Aspern hoch zu Pferde sich mit anderen Offiziersan-
wärtern der Traingruppe exerzierend versammeln, um im weiteren Vollzuge der lusti-
gen Feierlichkeit, während die Sonne einem dem Tschako an die Stirn lötete, durch
das Burgtor marschieren, um an dem alten Kaiser, der dort aufgestellt war, Kopfwen-
dung rechts, vorbei zu defilieren.61
58 Aus finanziellen GrĂĽnden wurden nur 22 bis 29Â
% der wehrpflichtigen Männer Österreich-Ungarns
wirklich eingezogen. Es wurde nach dem Losverfahren ausgewähltÂ
– vgl. Rauchensteiner, Manfried,
Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien 2013, 53–53 ; Schmidl, Erwin
A., Habsburgs jüdische Soldaten 1788–1918, Wien/Köln/Weimar 2014, 70–72.
59 Breitwieser, Franz, Geschichte der k.u.k Train-Truppe. Chronik der wichtigeren Ereignisse und Ver-
fĂĽgungen ĂĽber ihre Entwicklung, nach amtlichen Quellen zusammengestellt und bearbeitet von
Franz Breitwieser, Wien 1904, 253–262.
60 BV, o.T. [Kriegstagebuch], o.D., o.S., K18, A : Viertel, DLA.
61 BV, Rascher RĂĽckblick auf harmlose Zeiten, o.D., 303, K19, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359