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Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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  Sexuelle  Emancipation |  257 Er verbindet sich schließlich mit einer Gleichgesinnten, mit der er sich im Kritischen trifft, zu einer Art weißen Ehe, zu einer Freundschaftsverbindung auf Grund einer neuen Ethik, die das Sexuelle ausschließt und beiden Gatten in diesem Punkt die Freiheit lässt.68 Solch ein partnerschaftliches Abkommen hatte um 1900 kaum Tradition, aber es gab zumindest ein Vorbild aus Viertels Freundeskreis : Durch Otto Soyka hatte Viertel um 1906 David Oppenheimer, einen Studenten der Altphilologie und Mitglied der Psychoanalytischen Vereinigung um Freud, kennengelernt, der damals ebenfalls mit Soyka seine »andersartigen« sexuellen Neigungen disku- tierte und möglicherweise auch auslebte.69 Oppenheimer heiratete, obwohl er sich eigentlich zu Männern hingezogen fühlte, Ende 1905 die Mathematikerin und Physikerin Amalie Pollak, die mit der Kernphysikerin Lise Meitner stu- dierte und wiederum Frauen als PartnerInnen bevorzugte  – die Ehe sollte bei- den Partnern die Freiheit für gleichgeschlechtliche Liebesaffären geben.70 Es war wahrscheinlich Berthold Viertel, der seinen »teuren Freunden Amalie und David« 1905 mit einem Gedicht gratulierte und sie aufforderte »Dem oft Be- tretnen neuen Adel, / Besondre Weihe zu verleihn.«71 Sechs Jahre später ging er selbst solch eine »weiße Ehe« ein, die einige Fragen aufwirft : Warum verzichtete Berthold Viertel, der als Mann mehr Möglichkei- ten hatte, alleinstehend seine Sexualität frei auszuleben, nicht völlig auf eine solche Bindung ? Kraus und Altenberg waren in ihrem Protest gegen Monoga- mie, das reproduktive Arrangement und den geschäftlichen Hintergrund der bürgerlichen Ehe einfach ehelos geblieben. In linken Milieus lebte der Sozial- demokrat Otto Bauer bereits offen in einer Lebensgemeinschaft.72 Diente Viertel diese Ehe als Loslösung vom Elternhaus, in dem er, mit 27 Jahren, noch immer wohnte ? Hatte er Angst vor dem Stigma des Junggesellendaseins ?73 Oder war tatsächlich eine »neue Ethik« ausschlaggebend für diesen Schritt ? Wenig später wurde nach amerikanischem Vorbild das Modell der »Compa- nionate Marriage« oder »Kameradschaftsehe« dominant, das eine »innige sexu- elle Partnerschaft« zum neuen Ideal machte und das sich in Abwehr gegenüber 68 BV, Österreichische Illusionen/Der Knabe Robert Fürth, o.D., o.S., NK12, A : Viertel, DLA. 69 BV, Tod der Lüge, 1. Tagebuchblatt am 5. Juli 1906, 69.3142/1, K28, A : Viertel, DLA : Viertel be- merkte dazu : »Ich glaube nicht, daß Op.[penheimer] seiner [Soykas] Eigenart so viel so echtes und so tiefes Verständnis entgegenbrachte wie ich. Dazu sind sie doch zu verschieden.« 70 Singer, Mein Großvater, Hamburg 2003, 82–85. Das Paar bekam später auch Kinder und wurde gemeinsam alt. 71 Ibid., 87. Unterschrieben wurde das Gedicht mit »Berthold«. 72 Hanisch, Illusionist, 2011, 35. 73 Stach, Erkenntnis, 2008, 32–45.
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Berthold Viertel Eine Biografie der Wiener Moderne
Titel
Berthold Viertel
Untertitel
Eine Biografie der Wiener Moderne
Autor
Katharina Prager
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20832-7
Abmessungen
15.5 x 23.2 cm
Seiten
368
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Ein chronologischer Überblick 7
  2. Einleitend 19
  3. 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
    1. Außerhalb Österreichs – Die Entstehung des autobiografischen Projekts 47
    2. Innerhalb Österreichs – Konfrontationen mit »österreichischen Illusionen« 75
  4. 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
    1. Moderne in Wien 99
    2. Monarchisches Gefühl 118
    3. Galizien 129
    4. Jüdisches Wien 139
    5. Katholische Dienstmädchen 150
    6. Deutsche Kultur 161
    7. Luegers Wien 173
    8. Mitschüler Hitler 184
    9. Jugendliche Kulturanarchisten 196
    10. Familie Adler 209
    11. Studium 228
    12. Sexuelle Emancipation 245
    13. Karl Kraus 268
    14. Theater 291
    15. Erster Weltkrieg 310
    16. Nachsatz 333
    17. Archivalien 336
    18. Dank 342
    19. Literaturverzeichnis 344
    20. Bildnachweis 358
    21. Personenregister 359
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