Seite - 271 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Karl
Kraus | 271
lich ungemein gefreut, in Ihrer Gesellschaft auf Rügen sein zu dürfen.«20 Im
Herbst 1910, als Viertel zur Waffenübung nach Linz musste, gingen fast täglich
Briefe und Telegramme hin und her. Viertel nutzte die Gelegenheit, Kraus
nochmals für seine Unterstützung zu danken :
Ich weiß nicht, ob ich einem anderen Blatt und vor allem einem anderen Herausgeber
gegenüber, den Mut zu so unbedingtem Ausdruck meines Gefühls gefunden hätte.
Wenn ich auch weiß, dass sie schärfer als ein anderer die Fehler meiner Arbeit sehen
werden, so weiß ich wird doch auch nichts Gutes, das ich gewollt habe (und sollte ich
es auch nicht gekonnt haben !) von Ihnen unbemerkt bleiben.21
Obwohl Berthold Viertels Ton immer respektvoll blieb, schien er sich der ge-
genseitigen Sympathie und Achtung, wie auch Kraus’ großer Freundlichkeit, die
er in seinen Texten über ihn immer betonte, recht früh sicher zu sein. Er thema-
tisierte auch Privates und Gesundheitliches und erlaubte sich etwa, ihn zur
Veröffentlichung eines Textes von Albert Ehrenstein in der Fackel zu drängen –
etwas, das sich Kraus eigentlich verbat. Karl Kraus wiederum zeigte Viertel an-
onyme Schmähbriefe, die ihn beunruhigten.
Rudolf Forster beschrieb Berthold Viertel in diesem Sinne rückblickend als
Kraus’ »intimsten Freund«22. In der Kraus-Forschung wurde Viertel zwar viel-
fach als wichtiger Freund erwähnt, war allerdings immer nur am Rande präsent.
Das lag zum einen daran, dass wenig nachgelassenes Material zu dieser Freund-
schaft vorliegt – in den frühen Jahren überwog sicher der persönliche Umgang,
später leisteten sich beide gern den Luxus zu telefonieren und vor allem Kraus
schrieb selten an Viertel. Zum anderen hat es mit schwammigen Definitionen
und Mythen um den »Kraus-Kreis« zu tun, der sowohl Kraus’ Mitarbeiter als
auch seinen privaten Freundeskreis einschließen konnte. In Viertels Fall traf
beides zu und er war eine der wenigen Personen, die Kraus über fast drei Jahr-
zehnte nahestanden – wie der »Kreis« selbst, durchlief aber auch diese Freund-
schaft verschiedene Phasen. Einen unvoreingenommenen Blick auf das Verhält-
nis der beiden Männer erschwert nicht zuletzt der Mythos um Kraus als
»Meister« und niederdrückende Autorität, der nur jene duldete, »die zu allem Ja
und Amen sagten«23. Gerade Berthold Viertel legte in seinen autobiografischen
20 BV an Karl Kraus, 1. August 1910, H.I.N. 166146, Teilnachlass Karl Kraus, HS, WBR.
21 BV an Karl Kraus, 6. September 1910, H.I.N. 166149, Teilnachlass Karl Kraus, HS, WBR.
22 Forster, Spiel, 1967, 205. Es waren oft ehemalige Kraus-AnhängerInnen, die den Mythos vom her-
rischen Kraus besonders beförderten. Zu ihnen zählte auch der Psychoanalytiker Fritz Wittels, der
gerade in jener Zeit »Vatermord« an Kraus beging, als die Freundschaft mit Viertel begann.
23 Heinrich Fischer 1961, in : Pfäfflin, Friedrich, Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten aus Weg-
gefährten und Widersachern, Göttingen, 2008, 129.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359