Seite - 280 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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280 | Erinnerungsorte
der
Wiener
Moderne
und – »gerührt« von der Leistung und Loyalität seines Freundes – von »schick-
salsmäßiger« Verbindung sprach.68
Nach dem endgültigen Zusammenbruch von Viertels innovativer Theater-
unternehmung übernahm Kraus zusammen mit Ludwig Münz sehr selbstver-
ständlich große Teile der Schulden, die Viertel aus dem Projekt erwachsen
waren : »Kraus opferte Zeit und Geld, saß in Berlin über Büchern und Rech-
nungen und betrieb die Sanierung.«69 Ludwig Münz versicherte dem verzwei-
felten Viertel, der befürchtete, als Spendenempfänger in der Fackel aufzuschei-
nen und so »für irgendwelche Kampfzwecke öffentlich von K. K. mißbraucht«
zu werden : »K. K. ist doch der einzige Mensch, der sofort und bereitwilligst in
jeder Weise für Dich eintritt.«70 – Die Erfahrung seines Scheiterns ließ Viertel
offenbar an seinem Freund und Vorbild zweifeln. Auch im August 1927 schil-
derte er Salka Viertel, wie Kraus die bedürftige Dichterin Else Lasker-Schüler
»abschüttelte« :
Aber auf der Tauentzienstrasse straft Gott und wir begegnen Frau Lasker-Schüler, in
halb irrsinnigem Zustand aus dem Krankenhaus kommend, wo ihr lungenkranker
Sohn liegt. Sie klammert sich an Karl, aber er schüttelt sie ab. Denn er hat jetzt Ferien
und Rekreation, trotz allem Leid der Erde – naturgemäß ! – Man muss so energisch
sein wie er, um das Leid der Erde abzuschütteln, wenn man es nicht brauchen kann –
um es zur rechten Zeit wieder zu beschwören, indem man es gestaltet. – Er liebt uns
sehr und trägt das Bild der Kinder mit sich herum.71
Karl Kraus mischte sich als Freund der Familie in Folge auch in Berthold Vier-
tels Pläne, nach Hollywood zu gehen, ein. Viertel wollte dort in der rasch expan-
dierenden Filmindustrie genug Geld verdienen, um seine durch die idealistische
Theaterunternehmung verursachten Schulden abzubezahlen.72 Kraus stand dem
Massenmedium Film »naturgemäß« skeptisch gegenüber :
68 Karl Kraus, Die Fackel 649–656 (1924), 2–10.
69 Forster, Spiel, 1967, 213.
70 Ludwig Münz an BV, o.D. [1924], 78.903/2, K42, A : Viertel, DLA. Kraus wies seine Spenden
öffentlich aus, um so Position zu beziehen. Münz beruhigte : »[Kraus] hat diesen Betrag von einem
Vorlesungserträgnis genommen, das nie namentlich ausgewiesen wird. Ich hoffe damit zunächst
diese fixe Idee, daß Du für irgendwelche Kampfzwecke öffentlich von K. K. mißbraucht werden
könntest, bei Dir beseitigt zu haben.«
71 BV an Salka Viertel, 10. August 1927, 78.856/11, K34, A : Viertel, DLA.
72 Zwischen 1928 und 1931 trug Viertel von Hollywood aus tatsächlich seine Schulden bei Kraus ab
(98. Darlehenssache Berthold Viertel, 05.02.1928–10.01.1931, AKS 66/5055, C sine, in : Samm-
lung Prozessakten Oskar Samek/Karl Kraus, ZPH 1545, WBR).
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359