Seite - 281 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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  Karl 
Kraus |  281
Kraus war lieb – wenn es auch zuerst ein Verhör gab und viele Vorwürfe. Er grüßt
Dich und die Kinder innigst und liebt uns ! […] Diesmal hat mich […] der teure Karl,
beinahe umgebracht. Trotz […] der dringendsten Hinweise auf die rasende Postarbeit,
die mir auferlegt ist, und deren Misslingen meine ganze Zukunft gefährden würde,
musste ich eine Woche hindurch jede Nacht sitzen und debattieren ; wobei die völlige
Aussichtslosigkeit, einem der geistigsten Männer, die leben, den Weg über die Palisa-
den seiner selbstgebauten Festung hinweg zu den Tatsachen der Zeit zu zeigen, nie-
derschmetternd wirkt. […] Was nützt da alle Liebe : nur mit Mühe […] wieder ein
Bruch vermieden ! […] Kraus will uns in Hollywood besuchen.73
Kraus kam nicht nach Hollywood, doch er schrieb in der Fackel ĂĽber die Viertels
in Hollywood, wo sein Bild in der Bibliothek stand.74 Offenbar gab es auch
während der amerikanischen Jahre der Viertels telefonischen Kontakt und Salka
Viertel ermahnte ihren Mann : »Hast du deinem Vater und Karl Kraus geschrie-
ben ? Bitte tue es.«75 In gewisser Weise bestätigte die Konfrontation mit Ame-
rika und Hollywood Kraus’ Kulturkritik für Viertel erneut. Im Sommer 1932, als
er seine Rückkehr nach Europa vorbereitete, traf er mit Karl Kraus nach vierjäh-
riger Trennung in Paris zusammen. Kraus’ »Assistent« Heinrich Fischer beob-
achtete dieses Wiedersehen :
Als Viertel sich immer mehr mit allen möglichen Literatur-, Theater- und Filmunter-
nehmungen in Wien, Berlin und Hollywood abgab, wurde Kraus immer bedrĂĽckter.
›Er wird verkommen‹, sagte er […]. Etwa ein halbes Jahr später kam Kraus von einem
kurzen Urlaub in Paris nach München. […] Schon nach wenigen Minuten teilte er
mir strahlend mit : ›Ich habe Berthold in Paris getroffen. Er wohnt im Ritz-Hotel und
ich habe ihn dort besucht – sein Badezimmer war größer als mein Pariser Hotelzim-
mer. Aber er hat in Hollywood Gedichte geschrieben, wunderbare Gedichte, eines
davon über die kleinen Schuhe seiner Kinder. […] Es ist alles in Ordnung mit Bert-
hold. Selbst diese Filmhölle hat ihm nichts anhaben können.‹76
Um die Jahreswende 1932 war Berthold Viertel wieder in Wien. Sein Vater
Salomon lag im Sterben. Immer wieder traf er auch Kraus und Salka Viertel
mahnte aus Hollywood : »Lass Dich nicht verkrausen. […] Hast Du Karl Kraus
noch immer so in den Knochen ?«77 – »Karl Kraus einen Tag länger und wir
73 BV an Salka Viertel, 1. August 1927 und o.D. [August 1927], 78.856/9 und 78.856/12, K34, A :
Viertel, DLA.
74 Karl Kraus, Die Fackel 852–856 (1931), 83.
75 Salka Viertel an BV, 10. September 1928, 78.907/3, K45, A : Viertel, DLA.
76 Heinrich Fischer 1961, in : Pfäfflin (Hg.), Nähe, 2008, 129.
77 Salka Viertel an BV, 2. Oktober 1932, 78.910/13, K45, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359