Seite - 303 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Theater | 303
Uraufführung in Lauchstädt zu sichern. Mit dem alten Freund Polgar zusam-
men arbeitete er zudem Nestroys neu entdecktes Stück Kampl um, mit dem die
Volksbühne in der Neubaugasse im Dezember 1912 eröffnen wollte.
Als Dramaturg der Volksbühne kam Viertel endlich auch in seine Sehn-
suchtsstadt Berlin, er ging in diesem Herbst das Experiment seiner »weißen
Ehe« ein und sein erster Gedichtband Die Spur sollte bald im Kurt Wolff-Verlag,
herausgegeben von Franz Werfel, erscheinen.60 Insgesamt fühlte er sich »ganz
am richtigen Platz«, wie er Wlach im Oktober 1912 mitteilte :
Ich bin also jetzt mitten im Eröffnungsrummel, was mein Stillschweigen und meine
heutige Abruptheit wohl entschuldigt. – […] Rundt und Großmann sind mir jetzt in
ihrem gesunden Arbeitseifer alle beide sympathisch
– (R.[undt] war’s mir ja immer).
–
Ich glaube heute mehr als je an diese Sache, und fühle mich, seitdem ich Regiebücher,
Proben, Dekorationen, Kostüm sehe, glücklich. Seit das papierene Zeitalter in das der
Leinwand übergegangen ist. Freue mich schon kindisch auf die Schilling Probe und
träume davon, bald selbst zu inszenieren. […] Polgar will mit mir ein Stück schrei-
ben
– ein anderes hab ich alleine angefangen. Hätt ich mehr Zeit. Mein Lyrikbuch ist
fertig, und geht dieser Tage an den Verlag.61
Schon wenig später, am 19. März 1913 hatte Viertels erste Inszenierung – Eu-
gen Heltais Die Modistin – an der Volksbühne Premiere. Der Regieanfänger
sollte sich erst einmal mit Unterhaltungsdramatik bewähren. Es war zugleich
Viertels erste Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Rudolf Forster, der begeis-
tert von ihm war und ihm in seinen Erinnerungen ein eigenes Kapitel widmete :
Er schrieb die schönste und edelste Prosa, um die ihn selbst sein Freund Karl Kraus
beneiden konnte. […] Wir arbeiteten besessen mit ihm und gingen für ihn durchs
Feuer. Seine Hingabe war flammende Begeisterung. […] Ich habe nicht bald wieder
einen Menschen gesehen, der so kompromißlos hart im Nehmen war, dabei uner-
schöpflich in seiner Güte und von einem erlesenen Charme. […] Ich durfte sein
Freund sein, weit über ein Menschenalter. […] Heute habe ich nur noch ein Bild in
meinen vier Wänden, das seine.62
Forster erinnerte sich auch an »geruhsame Zeiten« : »Nach den Proben saß man
mittags mit Alfred Polgar bei ›Meißl und Schadn‹, delektierte sich an seinem Ta-
60 BV, o.T. [Erster Theaterbesuch in Berlin], o.D., o.S., K14, A : Viertel, DLA ; vgl. »Sexuelle Emanci-
pation« und BV, Die Spur, Leipzig 1913.
61 BV an Hermann Wlach am 7. Oktober 1912, H.I.N. 227989, Sammlung BV, HS, WBR.
62 Forster, Spiel, 1967, 161–162.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359