Seite - 307 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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bombe zerfleischhackt, ist mehr als eine Spur, ist bereits ein sicherer, festgebauter
Weg.74
Als sich 1917/18 ein Ende des Krieges, jedenfalls fĂĽr Viertel, abzuzeichnen be-
gann und er hoffte, bald als Zivilist und Theaterkritiker in Prag zu sein, be-
merkte er : »Ich scheine doch schicksalsmäßig fürs Theater bestimmt zu sein.«75
Nur wenige Monate später war Berthold Viertel im revolutionären Deutschland
und arbeitete dort als Oberspielleiter am sich demokratisierenden Dresdener
Sächsischen Staatstheater. Von hier aus etablierte er sich rasch als einer der ge-
fragtesten expressionistischen Regisseure des Landes :
In Deutschland – in den Zeiträumen zwischen Krieg, Revolution und dem ›Dritten
Reich‹ […] – versuchte sich das neue Drama, das weder für die Theater noch für die
geschäftsmäßige Vergnügungsindustrie hergestellt war, sondern von Dichtern ge-
schrieben, um ihre Hoffnungen, WĂĽnsche und ihren Glauben auszudrĂĽcken, ver-
suchte dieses neue Drama eine neue und jähe Wendung in das Soziale und in den
politischen Idealismus. […] Die Epoche selbst, Ende und neues Beginnen, war das
Thema all dieser Kriegs- und Friedensstücke. […] Expressionismus wurde diese kurze
Periode des Theaters benannt. […] Es war Versuchstheater, aber es beeinflusste die
BĂĽhne ĂĽberall. Die ĂĽbernaturalistische Tendenz dieser BemĂĽhungen brachte keine
Erfüllung […].76
Berthold Viertel entwickelte sich in Deutschland nicht nur zu einem gefragten
Regisseur zeitgenössischer Dramatik, auch der sozialistische Theatergedanke
wirkte aus der Wiener Volksbühnenzeit fort und wurde durch den »Schauspie-
74 BV an Hermann Wlach am 25. Februar 1916, H.I.N. 227992, Sammlung BV, HS, WBR. Der
jĂĽngste Tag hatte inzwischen Dichterkollegen wie Franz Werfel zu lyrischen Beststellern gemacht,
während Viertel ein »unbekannter Ă–sterreicher« geblieben warÂ
– »Die Prager Sinnigkeit hat drau-
ßen in Deutschland das Rennen gemacht«. Berthold Viertels fortgesetzter Zwiespalt zwischen
Theaterarbeit und Dichtung – später auch als produktive Verbindung erlebt – trug (abseits seines
Exils) sicher dazu bei, dass er weder in der Theater- noch in der Literaturwissenschaft als »bedeu-
tender Untersuchungsgegenstand« eingestuft wurde. Grundsätzlich blieben das Theater (und auch
der Film)Â
– trotz der Kompromisse, die er in der Teamarbeit wie auch im Hinblick aufs Publikum
eingehen mussteÂ
– für Viertel klar das sozial und politisch wirksamere Medium (vgl. BV, Aus einem
im Schutzverband …, in : Ginsberg (Hg.), Dichtungen und Dokumente, 1956, 391–392).
75 BV an Hermann Wlach am 2. Dezember 1917, H.I.N. 227994, Sammlung BV, HS, WBR.
76 BV, Der Kampf um das Drama, in : Kaiser/Roessler (Hg.), Viertel, Überwindung, 1989, 81–82 ;
Später meinte Viertel auch : »Der Expressionismus wirkt heute, wie wenn man mit 40Â
Jahren Kin-
derlähmung bekommt.« (BV an Salka Viertel, o.D. [April 1931], 78.860/1, K34, A : Viertel, DLA)
Ähnlich beurteilte es Kokoschka in : Mein Leben, 2008, 113–115.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359