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318 | Erinnerungsorte
der
Wiener
Moderne
samer sein konnten als es »die Österreicher« waren. Und er betonte, dass er die
serbische Bevölkerung respektvoll behandelt habe und sie sogar vor Plünderun-
gen geschützt habe : »I, being a sentimentalist, fought this jolly custom wherever
I could.« Und so sei auch er im Gegenzug von SerbInnen freundlich und »als
Gast« behandelt worden. Seine Zyankali-Kapsel habe er weggeworfen, nachdem
er die fünfjährige Tochter der serbischen Familie, bei der er am Crni Vrh ein-
quartiert war, nur knapp davor bewahren konnte, sie als Süßigkeit in den Mund
zu stecken. Viertel erzählte diese Episode später gerne in Gesellschaften und
offenbar meist einem englischsprachigen Publikum. Sie stellte ihn in Opposi-
tion zu den Kriegsverbrechen, die er mit den Worten »This had been the glorious
European tradition whenever Europe did some colonizing […]« doch auch la-
tent entschuldigte.39
Alles in allem hatte sich Berthold Viertel in Serbien als »sehr vertrauenswür-
diger, pflichtgetreuer Offizier« erwiesen, der »stets bereit ist, sein Wissen und
Können restlos in den Dienst einzusetzen«
– so wurde es Ende Oktober 1915 in
einem Belohnungsantrag vermerkt :
Dieser Offizier hat […] den serbischen Feldzug bis Ende Dezember 1914 mitge-
macht und als Zugskommandant des 5/14 Gebirgtraineskadron während der Stel-
lungskämpfe am Crni Vrh seinen Tragtierzug im feindlichen Feuer wiederholt vorge-
bracht, was in Folge seiner Initiative […] stets in musterhafter Ordnung geschah.
Beim Vormarsch und speziell bei der Rückbewegung in Serbien hat er […] die Situ-
ation stets richtig abgeschätzt und besondere Selbstständigkeit bewiesen, was auf der
Rückbewegung für die Verpflegung der deckenden Truppen […] von hoher Wichtig-
keit war.40
Nach dem Zusammenbruch der Balkanfront im Dezember 1914 erklärte Öster-
reich-Ungarn Serbien zum Nebenkriegsschauplatz und »eroberte« es erst im
Spätherbst 1915 mit Unterstützung deutscher und bulgarischer Truppen. Bert-
hold Viertel wurde mit fünf anderen Reserveoffizieren an die ungarisch-galizi-
sche Karpatenfront geschickt :41
39 Ibid.; vgl. Schanes, Serbien, 2011, 166–177. Nicht zuletzt versuchte er, »these horrors« mit dem Hin-
weis abzutun, dass die Welt genug davon gehört habe
– auch das eine problematische Behauptung.
40 Friedrich Novak, Belohnungsantrag für Berthold Viertel, 26. Oktober 1915, KA, ÖStA.
41 Obwohl gerade die Ost- und Südostfront die wesentliche Fronterfahrung der österreichisch-ungari-
schen Armee darstellte, gilt sie als »vergessener« Kriegsschauplatz. Während Erich Maria Remarque
und Ernst Jünger den Stellungskrieg an der Westfront zum Symbol für den Ersten Weltkrieg an
sich machten, war es weitaus schwieriger, den, »barbarischen«, chaotischen Bewegungskrieg im Os-
ten zu fassen. Auch in der aktuell wieder »in Bewegung geratenen« Weltkriegsforschung gelten
die Kriegsschauplätze Serbien und Galizien nach wie vor als unterrepräsentiert (Dornik, Wolfgang,
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359