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Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19. Jahrhunderts 95
Mit der Grundentlastung länderweise eingerichtete Fonds übernahmen de facto die
Funktion von Kreditanstalten.39 Sie hatten das nötige Kapital zwischen Berechtigten
und Belasteten in Form der Grundentlastungsobligationen zu vermitteln. Die berechtig-
ten Grundherren bezogen daraus Entschädigungszahlungen, welche die verpflichteten
Bauern im Verlauf von zwei Jahrzehnten (unter Wegfall aller anderen grundherrlichen
Abgaben) gegen eine Verzinsung in den Entlastungsfonds einzubringen hatten. Mit der
angestrebten und durchgeführten Grundentlastung gelang es zwar dem Staat, die über
Jahrhunderte hin gewachsene Beziehung zwischen Bauer und Grundherren zu entflech-
ten und auf eine neue
– für alle gleiche
– Rechtsgrundlage zu stellen, aber auf regionaler
Ebene zeitigte dieses Vorhaben – wie in der chronischen Kapitalarmut der Bukowina
bereits angesprochen
– seine Schwächen.
In den meisten Ländern der Habsburgermonarchie (die Länder der Stephanskrone
ausgenommen) galt der Prozess der Grundentlastung nach wenigen Jahren bereits als
abgeschlossen. Nicht so in Galizien und der Bukowina. Während sich mehrheitlich die
Verteilung der Belastungen zwischen Land und Verpflichteten entweder die Waage hielt
oder hauptsächlich von den Verpflichteten getragen wurde, entfiel die Hauptlast in Ga-
lizien und der Bukowina auf die Kronländer selbst. Von mehr als 46 Millionen Gulden
Grundentlastungskapital waren das über 44 Millionen, lediglich zwei Millionen steuer-
ten die Verpflichteten selbst bei.40 So musste 14 Jahre nach der erfolgten Einleitung der
Grundentlastung das damit beschäftigte Landtagskomitee der Bukowina in einer Denk-
schrift feststellen, dass trotz des vergleichsweise zu den anderen Kronländern hohen
Grundentlastungszuschlages (einer Art Steuer zur Deckung des Entschädigungskapi-
tals) die daraus erlösten Zahlungsmittel weder zur Amortisierung noch zur Bedienung
der Zinslast ausreichten.41 Der Grundentlastungsfonds der Bukowina verfügte nicht
über ausreichende Mittel, da
– wie erwähnt ein Sonderfall
– die Verpflichteten hier von
der Zahlung einer Entschädigungsquote weitestgehend befreit waren. Die Tilgung und
weitere Emission von Obligationen an die Berechtigten musste daher vorerst suspen-
diert werden, sodass die Liquidierung selbst 1899 noch nicht als vollständig beendet
gelten konnte.42 Da die Kapitalisierung der Renten indes weiterlief, führte dies zum
kontinuierlichen Anwachsen einer zunehmend als drückend empfundenen Schulden-
last. Die Landesvertretung betrachtete die »Kapitalisierung der Interessen [nicht nur] als
39 Die korrekte Bezeichnung der dafür in der Bukowina verantwortlichen Abwicklungseinrichtung der
Landesverwaltung lautete Bukowinaer Grundlasten-Ablösungs- und Regulirungs-Landes-Komission.
40 Schiff 1898, Grundentlastung, 19f.
41 DACZ 320/3/3258 Denkschrift über den Stand der Grundentlastungsschuld in der Bucowina, Czerno-
witz v. 9.IX.1862.
42 Grünberg 1899, Grundentlastung, Tabelle IV, 76.
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Titel
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Untertitel
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Autor
- Kurt Scharr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 447
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439