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Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 203
Interpellation von Onciul durch Sektionschef Spaun verfasste Stellungnahme konnte
trotz ihrer besonnenen Argumentationsweise auf diesem Feld nur mehr wenig bestellen.
Ganz im Gegenteil, die Bukowinaer Post legte noch drauf und verstieg sich dazu, den
Erzbischof als »einen Förderer der national-russischen Propaganda« zu bezeichnen, der
sich im Dienste des »galizischen Statthalters« befinden würde.339 Damit waren sowohl
die Ängste gegen die in der Bukowina aus eigener Erfahrung bekannte polnische Ver-
waltung als auch gegen die panslawischen Aspirationen St. Petersburgs bedient. Darüber
hinaus hatte sich mittlerweile die Zusammenarbeit der Freisinnigen als kurze Episode im
politischen Leben der Bukowina erwiesen und 1905 wieder aufgelöst. Hiermit zerbrach
eine Koalition, die über Partei- und Nationalitätengrenzen hinweg versucht hatte, zum
Wohl des gesamten Kronlandes zu agieren. Die dergestalt nationalisierte Elite beschäf-
tigte sich in der Folge verstärkt mit der nationalen Indifferenz der bäuerlichen Bevöl-
kerung des Landes und versuchte dieses Wählerpotential in ihre jeweiligen Lager zu
manövrieren.340 Die rumänischen Demokraten unter der Führung von Onciul stellten
sich jetzt vor allem in Kirchenfragen teilweise in eine Fundamentalopposition zu den
Jungruthenen.341
Um eine Basis für die Diskussion zu gewinnen, stelle ich eine Behauptung auf, von der ich
sicher bin, daß sie allgemeine Zustimmung finden wird, u. zw.: ›Der Charakter der gr. or. Kir-
che in der Bukowina war und muß rumänisch bleiben‹. Daraus folgt : Der Metropolit muß ein
Rumäne sein, die Kirchensprache ist die rumänische, die Amtskorrespondenz muß in rumäni-
scher Sprache geführt werden, der gr. or. Religionsfond hat für kulturelle Zwecke der Rumänen
zu dienen etc. Oder : die gr. or. Ruthenen sind Mitglieder der rumänischen Kirche der Buko-
wina, da sie keine eigene ruthenische Kirche, keinen Bischof und keinen Metropoliten haben.
Es ist als nur Privatsache der Ruthenen, wenn sie sich von der rumänischen Kirche separieren
und ein Bistum oder Erzbistum errichten wollen. Daß sie dazu Geld und andere Dinge brau-
chen, geht die Rumänen nichts an, und kein Rumäne hat ein Recht, den Ruthenen zu diesem
Zwecke aus dem gr. or. rumänischen Religionsfonde einen Kreuzer zu schenken.342
Onciul repräsentierte mit seiner Meinung allerdings keineswegs alle Rumänen der Diö-
zese. Es kam neuerlich dem emeritierten Universitätsprofessor Eusebius Popowicz zu,
339 Bukowinaer Post Nr. 2197 v. 5.I.1908, 3, Erzbischof Dr. Repta im Dienste des galizischen Statthalters.
340 van Drunen 2015, Bunch, 132, 161 u. 164.
341 Czernowitzer Allgemeine Zeitung Nr. 2271, 13.VIII.1911, 1f., Die Kirchenfrage. Eine Unterredung mit
einem ruthenischen Würdenträger der Landeskirche ; sowie Nr. 2276, 20.VIII.1911, 1f., Die Kirchen-
frage.
342 Die Wahrheit Nr. 124 v. 25.IX.1911, 6–15, hier 8, Zur gr.-or. Kirchenfrage. Zweiter Anhang zu den
kritischen Fragmenten (Aurel Onciul).
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Titel
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Untertitel
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Autor
- Kurt Scharr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 447
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439