Seite - 231 - in Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949 - Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
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Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 231
gelmäßig schmerzlich zu spüren, litten doch die Kronländer seit der Grundentlastung
vermehrt an chronischem Kapitalmangel.49
Trotzdem signalisierte Wien einzelnen Interessensgruppen gerade dort, wo an sich
kaum Verluste zu befürchten und zudem der geringste Widerstand zu erwarten waren,
auch ein Entgegenkommen. So verhalf etwa die mit dem Jahr 1909 in Kraft getretene
Gemeindeordnung den Gemeinden und ihren nunmehr gewählten Vertretungsorganen
zu einer größeren Autonomie, indem sie unter anderem deren rechtlichen Zuständig-
keitsbereich erweiterte. Dadurch erhielt die seit 1859 als kleinste Verwaltungseinheit
des Staates bestehende Institution der politischen Gemeinde50 die vormals politisch-
administrativ als eigenständig behandelten Gutsgebiete zugesprochen.51 Für den wirt-
schaftlichen wie sozialen Gegensatz zwischen Gutsgebieten und Gemeinden konnte
jedoch kurzfristig kein Ausgleich erreicht werden ; außerdem befürchtete man seitens
der Gutsherrschaft ein »Hineinverwalten« der als Gemeindeorgane gewählten Bauern.
Hätten diese doch »bei Ausübung ihrer amtlichen Funktionen die Verwaltung und Be-
wirtschaftung ehemaliger Gutsgebiete beeinträchtigen und auf diese Weise die soziale
Machtstellung der Gutsbesitzer ungerechtfertigterweise schmälern« können.52 Obwohl
gerade der Religionsfonds als einer der größten Gutsbesitzer der Bukowina davon er-
heblich betroffen war53, gestattete ihm als juristische Person die Gesetzeslage
– ganz im
Gegensatz zu den privaten Gutsherren – keine Übergangsregelung in Form zeitweiliger
von der Gemeinde separierter eigener Geschäftsführungen.54 Damit hatte sich die Zen-
tralregierung in Wien geschickt nötigen Freiraum geschaffen und soziale Spannungen
in den Gemeinden des Kronlandes abdämpfen können. Zugleich gelang es dadurch, den
wenigen jedoch politisch bedeutenden Gutsbesitzern, die schon ein halbes Jahrhundert
zuvor über die Grundentlastung Einbußen in ihrer Machtstellung erfahren hatten, eini-
gen Wind aus den Segeln zu nehmen.
Allerdings darf in diesen politisch motivierten Forderungen nicht unbeachtet bleiben,
dass der Großgrundbesitz – solange er mit Hilfe des geltenden Kurienwahlrechts Lan-
desparlament und Reichsrat dominierte
– neben den vorgebrachten legitimen Landesin-
teressen nicht selten zunächst seine eigenen Ziele verfolgte. In einer ausführlichen Rede
des Reichsratsabgeordneten Dr. Kajetan Stephanowicz55 kritisierter dieser eloquent
49 Bukowinaer Rundschau Nr. 2219 v. 26.VIII.1895, 1f., Die todte Hand.
50 Kaiserliches Patent v. 24.IV.1859 ; RGBl. Nr. 58 v. 27.IV.1859.
51 Gemeindeordnung v. 29.III.1909 ; Landesgesetzblatt der Bukowina Nr. 42 v. 28.VIII.1908.
52 Dutczak 1912, Geschäftsführungsanspruch, 6 ; ders. 1909, Gestaltung.
53 Vgl. Tab. 6.
54 Dutczak 1912, Geschäftsführungsanspruch, 5.
55 Dr. Kajetan Stephanowicz (auch Stefanowicz) gehörte der Kurie der Großgrundbesitzer an, war Lan-
desausschussbeisitzer und Präsident des Landeskulturrates des Herzogtums, dessen Leitung er seit
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Titel
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Untertitel
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Autor
- Kurt Scharr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 447
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439