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Geschichte
Nach 1918
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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45 Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre Ralph Waldo Emersons als Motto vorangestellt hatte , die Dynamik des neuen Zeitalters durch ein signifikantes West-Ost-Gefälle  – „nach dem Westen zu wird die moderne Be- wegtheit immer grösser“112  – gekennzeichnet , eine Dynamik , die für ihn allerdings klar auf Kulturverfall hinauslief : „Es ist eine indianerhafte , dem Indianer-Bluthe eigenthümliche Wildheit in der Art , wie die Amerikaner nach Gold trachten : und ihre athemlose Hast der Arbeit  – das eigentliche Laster der Neuen Welt  – beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe ; das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand , wie man zu Mittag isst , das Auge auf das Börsenblatt gerichtet ,  – man lebt wie Einer , der fortwährend Etwas ‚versäumen könnte‘. ‚Lieber irgend Etwas thun , als Nichts‘  – auch dieser Grundsatz ist eine Schnur , um aller Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen.“113 Interessanterweise war es , wie Günter Bischof hervorhebt , just der Gründervater der mo- dernen Psychoanalyse , der den kulturellen Hautgout und die Arroganz der europäischen Bildungselite in seltsam unkritisch-undifferenzierter Weise übernahm ; zwar nicht in sei- nen wissenschaftlichen Arbeiten ,114 jedoch in brieflichen Äußerungen. So bezeichnete Sigmund Freud das dollar-materialistische Amerika als konformistisches „Gegen-Paradies“ und wetterte anlässlich seiner Amerikareise 1909 über das schlechte Essen.115 Gegenüber Ernest Jones meinte er gar : „America is a mistake , admittedly a gigantic mistake , but a mistake nevertheless.“116 112 Friedrich Nietzsche , Menschliches , Allzumenschliches I ( 5. Anzeichen höherer und niederer Cultur ). In : Friedrich Nietzsche. Kritische Studienausgabe. Bd. 2. Hrsg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari , Mün- chen 1999 , § 285 , 232. 113 Friedrich Nietzsche , Die fröhliche Wissenschaft. Viertes Buch. In : Friedrich Nietzsche. Kritische Studi- enausgabe. Bd. 3 , a. a. O., § 329 , 556. 114 Der einzige Hinweis findet sich in seiner 1929 publizierten Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“. Hier machte Freud das „psychologische Elend der Masse“  – interessanterweise mit einem Untergriff gegen egalitäre Organisationsformen  – am Fallbeispiel Amerikas fest , wo „gesellschaftliche Bindung hauptsäch- lich durch Identifizierung der Teilnehmer untereinander hergestellt wird , während Führerindividualitäten nicht zu jener Bedeutung kommen , die ihnen bei der Massenbildung zufallen sollte. Der gegenwärtige Kulturzustand Amerikas gäbe gute Gelegenheit , diesen befürchteten Kulturschaden zu studieren. Aber ich vermeide die Versuchung , in die Kritik der Kultur Amerikas einzugehen ; ich will nicht den Eindruck hervorrufen , als wollte ich mich selbst amerikanischer Methoden bedienen.“ Sigmund Freud , Das Unbe- hagen in der Kultur. In : Sigmund Freud. Studienausgabe. Bd. IX. Fragen der Gesellschaft  – Ursprünge der Religion , Frankfurt a. Main 2000 , 244. 115 Bischof , Two Sides of the Coin , a. a. O., 150. 116 Zit. nach : Ernest Jones , The Life and Work of Sigmund Freud. Vol. 2 : Years of Maturity , 1901–1919 , New York 1955 , 60.
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Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
Subtitle
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Author
Christian H. Stifter
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
762
Keywords
US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorbemerkung 11
  2. Einleitung 15
  3. 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
    1. Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre 33
    2. Spiegelung : Anmerkungen zum Bild Deutschlands und Österreichs aus US-amerikanischer Sicht 66
    3. NS-Feindbild Amerika : Antiamerikanismus als Kampf gegen „Niggerkultur“, „Judenstaat“ und „westliche Demokratie“ 82
  4. 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
    1. „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
    2. „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
    3. Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
    4. Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
    5. „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
    6. Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
    7. Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
    8. Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
    9. „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
    10. Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
    11. Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
    12. Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
    13. Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
  5. 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
  6. 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
    1. Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
    2. Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
    3. Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
    4. Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
    5. Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
    6. Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
    7. Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
    8. Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
    9. Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
    10. Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
    11. Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
    12. Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
    13. ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
    14. Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
    15. Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
  7. 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
    1. Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
    2. Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
    3. Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
    4. Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
    5. Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
  8. 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
    1. Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
    2. Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
    3. Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
    4. Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
    5. ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
    6. Schlussbemerkung 655
    7. Quellenverzeichnis 665
    8. Literaturverzeichnis 673
    9. Verzeichnis der Abkürzungen 735
    10. Personenverzeichnis 741
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