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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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beziehungsweise um die Akzentuierung der positiven Seiten des fordistischen Produkti-
onssystems bemühten.163
Trotz oder gerade wegen des großen Erfolges Amerikas nahm der Überfremdungsdis-
kurs Anfang der Dreißigerjahre aber immer schrillere Töne an. Vor der respektlosen Ver-
flachung des ( deutschen ) Kulturlebens durch „minderwertige Niggerkultur“ warnten nun
nicht nur konservative bildungsbürgerliche „Gralshüter“, auch innerhalb der Sozialdemo-
kratie sah man – nicht zuletzt auch hinsichtlich des Erfolges der Hollywood-Filme – ein
wahres „Niagara von Unkultur“ hereinbrechen.
Auch die österreichische Sozialdemokratie war in ihrem Verhältnis zu Amerika durch
die Ambivalenz von Technikeuphorie und exotischer Bewunderung gegenüber der un-
geheuren Urbanität amerikanischer Großstädte einerseits und der Verurteilung aller
„Fäulniserscheinungen der hochkapitalistischen Welt“ sowie deren apostrophierter Kul-
turlosigkeit andererseits bestimmt. In den Arbeiterschulen , in der Parteischule , der Ar-
beiterhochschule und in den Arbeiterbüchereien wurden unter anderem auch amerika-
nische Schriftsteller besprochen beziehungsweise vermittelt , deren Werke Bezüge zur
sozialen Realität aufwiesen ( z. B. John Dos Passos , Upton Sinclair ),164 oder Vorträge über
die „Weltmacht Amerikas“ gehalten.165 Hinsichtlich der Beurteilung der US-amerikani-
schen Lebenswelt und Alltagskultur schloss sich aber der sozialdemokratische Kuckuck
– in
Anknüpfung an auflagenstarke , sozialkritische Amerika-Bücher wie Egon Erwin Kischs
„Paradies Amerika“ ( 1930 ) oder „Hotel Amerika“ ( 1903 ) der sozialistischen Schriftstellerin
Maria Leitner
– dem kulturellen Denunzierungs-Diskurs gegenüber dem „American way
of life“ nahtlos an :
des Geistes. In : Stimmen der Zeit , 60. Jg., 1929 / 1930 , Heft 118 , 161–173. Beides zit. nach : Adelheid von
Saldern , Überfremdungsängste. Gegen die Amerikanisierung der deutschen Kultur in den zwanziger Jah-
ren , a. a. O., 232 bzw. 243.
163 Vor allem auf gewerkschaftlicher Seite. Vgl. Mary Nolan , The Infatuation with Fordism : Social Demo-
cracy and Economic Rationalization in Weimar Germany. In : Wolfgang Maderthaner / Helmut Gruber ,
Chance and Illusion. Labor in Retreat , Wien 1988 , 165 f.
164 Upton Sinclairs Bücher wurden in den sozialdemokratischen Arbeiterbüchereien favorisiert. Siehe : Al-
fred Pfoser , Literatur und Austromarxismus , Wien – Kleinenzerdorf 1980 , 81 f. bzw. 156. Daneben er-
freuten sich aber auch sozialistische Zukunftsvisionen , wie die des amerikanischen Schriftstellers Edward
Bellamy in seinem Buch „Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887“, das mit einer Einleitung von
Clara Zetkin versehen war , großen Zuspruchs. Vgl. ebd. 134.
165 Josef Weidenholzer , Austromarxismus und Massenkultur. Bildungs- und Kulturarbeit der SDAP in der
Ersten Republik. In : Gerhard Botz / Hans Hautmann / Helmut Konrad / Josef Weidenholzer ( Hrsg. ), Be-
wegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte. Mit einem Vorw. v. BM Hertha
Firnberg , Wien
– München
– Zürich , 1978 , 492 ; weiters : Josef Weidenholzer , Auf dem Weg zum „Neuen
Menschen“. Bildungs- und Kulturarbeit der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik
(= Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ). Mit einem
Vorw. v. Karl R. Stadler , Wien – München – Zürich 1981 , 116 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741