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4. „The democratic way of life in Austria“
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den Dekan der Philosophischen Fakultät , Wilhelm Czermak , zu verteidigen : gegen sie
wurden Vorwürfe laut , sie würden es „mit allen Mitteln durchzusetzen verstehen , daß
ehemalige Parteimitglieder wieder in Dienst gestellt oder vor einer Entlassung geschützt
werden“.1455 Im Bemühen , die Genannten von allen Vorwürfen frei zu halten , schoss der
Rektor allerdings weit über das Ziel hinaus , indem er
– in nicht besonders glaubwürdiger
Argumentation – eingehend versicherte , dass beide „nicht den geringsten Einfluß auf
die Frage der neuerlichen Einstellung ehemaliger Parteimitglieder im aktiven Dienst als
Hochschulprofessoren nehmen und nehmen können“, da die Entscheidung darüber „aus-
schließlich einer im Staatsamte für Unterricht gebildeten Sonderkommission“ zustehe ,
die , so Adamovich weiter , „ihren Spruch vollkommen frei und unabhängig nur nach ihrer
eigenen Überzeugung trifft.“1456
Obwohl nun zweifellos zutrifft , dass die beiden Genannten nominell nicht in den Se-
naten der Sonderkommission vertreten waren , fällt an dieser Stelle , ohne in psychologi-
sche Spekulationen verfallen zu wollen , doch ins Auge , dass der Rektor der Universität
Wien hier gegenüber den alliierten Offizieren jegliche Verantwortung formal auf die über-
geordnete Instanz abwälzte und zudem bestritt , dass es an der Universität Wien eigene
Sonderkommissionssenate mit Entscheidungsbefugnis gab. Hinzukommt , dass Richard
Meister1457 als Prorektor – wenn schon nicht die Leitung – de facto die Supervision der
Sonderkommission innehatte und daher bestens informiert war. Des Weiteren war es auch
Meister , der wiederholt an Stelle des abwesenden Dekans der Philosophischen Fakultät ,
Czermak , der wiederum selbst direkt mit den politischen Säuberungsmaßnahmen an sei-
ner Fakultät befasst war , in den Sitzungen des Akademischen Senats über den Stand der
Entnazifizierung Bericht erstattete.1458
Daraus ist freilich nicht der Schluss zu ziehen , dass der Pädagogikprofessor im Sinne der
zitierten Anschuldigungen gehandelt hat. Wie die Lektüre der Protokolle des Akademi-
schen Senates verdeutlicht , war man sich der heiklen Situation und der exponierten Lage
gegenüber der Öffentlichkeit jedenfalls bewusst und trachtete danach , mögliche Konflikt-
1455 UAW , Dekanatsakten der Phil. Fakultät , GZ. 1548–1945 / 46 , 3. Dezember 1945 Akademischer Senat
1945 , 1.
1456 Ebd.
1457 Richard Meister ( 1881–1964 ), Pädagoge , Philologe , Kulturphilosoph. 1923–38 Universitätsprofessor für
Pädagogik , 1938–45 für klassische Philologie , 1945–56 wieder für Pädagogik an der Universität Wien
( 1949 / 50 Rektor ); 1945–51 Vizepräsident , 1951–63 Präsident der Österreichischen Akademie der Wis-
senschaften. Vgl. Gernot Heiß , „… wirkliche Möglichkeiten für eine nationalsozialistische Philosophie“ ?
Die Reorganisation der Philosophie ( Psychologie und Pädagogik ) in Wien 1938 bis 1940. In : Kurt R.
Fischer / Franz M. Wimmer ( Hrsg. ) Der geistige Anschluß. Philosophie und Politik an der Universität
Wien 1930–1950 , Wien 1993 , 140 f. Richard Meister war in den Zwanzigerjahren auch Mitglied der
streng antisemitischen Professorenclique „Bärenhöhle“ an der Universität Wien. Siehe : Taschwer , Die
Bärenhöhle und ihr langer Schatten , a. a. O., 7.
1458 Vgl. UAW , Senats-Sitzungs-Protokoll , 8. Sitzung , Akademischer Senat der Universität Wien , GZ.
1–1946 / 47 , 8. Jänner 1947 , 6.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741