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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Tatsächlich hatte Major Needham von der britischen „Education Branch / Internal Affairs
Division“ des Alliierten Rates am 11. Jänner 1946 an Rektor Adamovich eine Liste mit
insgesamt 175 entfernten bzw. vertriebenen Universitätslehrern1557 übergeben. Die Liste
beinhaltete das Geburtsdatum , die frühere Stellung , das Spezialgebiet und den aktuellen
Aufenthaltsort der jeweiligen Person. Unter den Aufgezählten finden sich , nach Diszipli-
nen geordnet , unter anderen zum Teil prominente Namen wie Emilie Bondy , Karl Büh-
ler , Ernst Gombrich , Engelbert Broda , Friedrich Feigl , Maximilian Chameides , Friedrich
Engel-Jánosi , Hugo Hantsch , Karl Menger , Egon Wellesz , Elise Richter ,1558 Friedrich
Waismann , Gustav Ichheiser , Gertrud Wagner , Felix Ehrenhaft oder Victor Franz Hess.
Lediglich neun Personen auf dieser umfangreichen Liste hatten an der Universität
Wien bereits wieder ihre Lehrtätigkeit aufgenommen , darunter bezeichnenderweise kein
einziger Exilant und auch keine einzige Frau ;1559 an 37 weiteren Lehrkräften zeigte sich
der Akademische Senat zumindest interessiert : darunter an Felix Ehrenhaft , Karl Bühler ,
Friedrich Feigl , Karl Przibram oder Erwin Schrödinger.
Auffällig an der Wunschliste des Akademischen Senates ist , dass sie , neben vier Assis-
tenten und einem Bibliothekar sowie einigen mittlerweile prominenten Exil-Wissenschaf-
tern , vor allem ehemalige Ordinarien umfasst und damit
– Parteigänger des ‚Ständestaats‘ ;
Juden enthält diese Liste hingegen kaum. Damit zeichnen sich drei Merkmale ab , die in
der Frage der Rückberufungen sowohl die Linie der Universität als auch die des Unter-
richtsministeriums bestimmten sollten : „prominent , katholisch-konservativ bis monarchis-
tisch und arisch“.1560
Wie der Offizier der britischen Education Branch gegenüber Rektor Adamovich her-
vorhob , bliebe es „selbstverständlich [ … ] der Hochschule vollkommen frei gestellt“, sich
1557 Als einzige Person , die vor 1938 keinen Lehrauftrag hatte , befand sich interessanterweise der bereits
als Stadtrat für Kultur und Volksbildung in Wien tätige Viktor Matejka auf der genannten Liste. UAW ,
Dekanatsakten der Phil. Fakultät , 628–1945 / 46 , Allied Commission for Austria ( British Element ), 14.
Jänner 1946.
1558 Die Sprachwissenschafterin Elise Richter ( 1865–1943 ) – eine der ersten Frauen , die an der Universität
Wien promoviert ( 1901 ) hatte und die erste Universitätsprofessorin Österreichs ( 1921 ) –, war 1942 ge-
meinsam mit ihrer Schwester in das KZ Theresienstadt deportiert worden , wo sie 1943 ums Leben kam. Si-
ehe : Elisabeth Andraschko , Elise Richter – eine Skizze ihres Lebens. In : Waltraud Heindl / Marina Tichy
( Hrsg. ), „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück …“ : Frauen an der Universität Wien ab 1897 , Wien
1990 , 221–231 ; weiters : Wolfgang Bandhauer , Niemals vergessen ! Elise Richter zum Gedenken. In : Semi-
otische Berichte , H. 1–2 , 1985 , 165–179 ; siehe auch : http://www.onb.ac.at/Ariadne/vfb/bio_richterelise.htm
1559 Frauen finden sich darunter keine : Alfred Wolfgang Wurzbach , Alois Dempf , Viktor Kraft , Kasimir
Graff , Hans Thirring , Eduard Castle , Karl Mras , Hans Mzik , Hans Leitmeier , Josef Weninger und
Richard Pittioni. UAW , Dekanatsakten der Phil. Fakultät , 628–1945 / 46 , Allied Commission for Aus-
tria ( British Element ), 14. Jänner 1946.
1560 Vgl. Fleck , Österreichs Universitäten am Beginn der Zweiten Republik , a. a. O., 6. Unter den ehemaligen
Exponenten des „Ständestaats“ finden sich Namen wie Hans Mokre oder Johannes Messner ; als Legiti-
misten traten Victor F. Hess , Robert Heine-Geldern oder Willibald M. Plöchl in Erscheinung.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741