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24 Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus
zelne Häuser wie das des kaiserlichen Armeelieferanten Samuel Oppenheimer und
seines Neffen Samson Wertheimer erhielten das Niederlassungsrecht in Wien.60 Da-
rüber hinaus aber war die Politik der Habsburger im 17. Jahrhundert darauf gerich-
tet, die Zahl der in Wien ansässigen Juden so gering wie möglich zu halten. So be-
schränkten die Judenordnungen für Wien und Niederösterreich von 1721 und 1723
das Aufenthaltsrecht immer nur auf das Haupt der Familie, dessen Frau und Kinder
sowie die »unumgänglich notwendigen Bedienten«.61 Dennoch hielt der Zustrom
»fremder« Juden nach Wien unvermindert an. Zwar wies eine unter Maria Theresia
angeordnete Zählung im Jahr 1752 nur zwölf Familien und insgesamt 452 legal an-
sässige Juden aus, doch die Zahl der tatsächlich anwesenden Juden dürfte erheblich
höher gewesen sein.62
Noch Anfang des 18. Jahrhunderts zielte die Politik der Habsburger auf Kont-
rolle und »Verminderung« der Juden. In diesem Kontext sind auch die »Familian-
tengesetze« von 1726 zu lesen, die durch drastische Ehebeschränkungen und eine
exakt vorgegebene Zahl von »Familienstellen« (für Böhmen und Mähren) die Zahl
der Juden konstant halten wollten. Barockfrömmigkeit und religiöse Intoleranz ge-
gen Protestanten wie gegen Juden zeichneten die Herrschaftsperiode Karl VI. und
seiner Tochter Maria Theresia aus. Die mit großer Grausamkeit verbundenen Ju-
denausweisungen in Böhmen der Jahre 1744 bis 1748 stießen bei den Judenge-
meinden in ganz Europa auf Empörung. Erstmals kam es zu einer Welle internati-
onaler Solidarität. So trug nicht nur der englische Botschafter in Wien den energi-
schen Protest König Georgs II. bei Maria Theresia vor63, sondern auch aus Kopen-
hagen und den Niederlanden kamen diplomatische Demarchen.64 Als bald darauf
die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen dieser Vertreibungen sichtbar wurden, kam
es auf Druck der Prager Statthalterei im Zuge der Haugwitzschen Reformen zu
60 Ausführlicher dazu : Klaus Lohrmann : Zwischen Finanz und Toleranz. Das Haus Habsburg und die
Juden (Graz/Wien/Köln 2000), S. 30f. Zur außergewöhnlichen Stellung Samuel Oppenheimers als
Kriegskommissar vgl. Selma Stern/Marina Sassenberg : Die Hofjuden im Zeitalter des Absolutismus
(= Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 64) (Tübingen 2001),
S. 18
61 Johann Ludwig Barth-Barthenheim : Beiträge zur politischen Gesetzeskunde im österreichischen
Kaiserstaate, Bd. 1, Politische Verfassung der Israeliten im Lande unter der Enns (Wien 1821), S.
17.
62 Tietze, Juden Wiens, S. 99.
63 Dan Diner spricht davon, dass seit dem Frieden von Utrecht 1713 dieses Eintreten zugunsten
verfolgter und bedrohter Juden und Judenheiten auf der Bühne »eines durch die großen Mächte
politisch regulierten imperialen Raumes« erfolgt sei. Dan Diner : Synchrone Welten. Zeiträume
jüdischer Geschichte (Göttingen 2005), S. 27.
64 Bericht über das Projekt : »Recht und Praxis der Religionsinterventionen im Europa der frühen Neu-
zeit« von Stephan Wendehorst im Rahmen des Jour Fixes an der Universität Wien zur »Geschichte
der Juden in der Neuzeit«, am 15. 11. 2012, mündliche Mitteilung.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Subtitle
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Author
- Hannelore Burger
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271