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Das Judenamt 41
Evaluierung des Judenamtes durch die niederösterreichische Regierung vom Novem-
ber 1793 heißt es, dass das Bestreben der neuen Behörde zunächst dahin gegangen
sei, »die sich hier unbefugt aufhaltenden Juden zu erfahren, aufzufinden, und sie
unter die öffentliche Aufsicht zu ziehen ; dann aber die fremden hier eintretenden
Juden zur ordentlichen Meldung und Abnahme der Papierzettel zu bringen«.130 Bei-
gefügt war dem Bericht an die Hofkanzlei ein Formular für die sogenannte Bollette
(eine Art Abreißzettel), mit der sich fremde Juden, d. h. nicht in Wien ansässige
Juden, einen auf vierzehn Tage begrenzten Aufenthalt in der Residenzstadt kaufen
konnten
– eine Maßnahme, die als besonders entwürdigend empfunden wurde.
Zu den weiteren Aufgaben des Judenamtes gehörte die Aufsicht über die »Fami-
lienlisten«, die seit 1787 von jeder in Wien tolerierten Familie zu führen waren und
die fortan bis zum 15. Mai jedes Jahres dem Judenamt vorgelegt werden mussten.
Darüber hinaus suchte das Judenamt, im Verein mit der niederösterreichischen Po-
lizei, »eingeschlichene Personen« aufzuspüren. Zu diesem Zweck wurden Razzien
selbst in den vornehmsten tolerierten Häusern durchgeführt. Jede Familienliste
enthielt genaue Angaben über den Tolerierten selbst (Grund der Toleranz, deren
Dauer, Adresse, Alter, Herkunft, Beschäftigung), dessen Ehefrau und Kinder, im
130 Vortrag des Directorii in Cameralibus Publico Politici, wegen Errichtung einer Judenkommission
vom 28. November 1793 ; anwesend : Oberster Directorialminister Graf v. Kollowrath, Hofkanzler
Graf v. Rottenhan, Hofräte : Greiner, Colloredo, v. Strobl (der spätere Referent im Judenamt). Für
die niederösterreichische Regierung : Graf v. Pergen. AVA Inneres, Hofkanzlei IV T 1, Nr. 267 aus
November 1793.
Abb. 3 : Polizeiverordnung vom 25. März 1810 ;
Quelle : WStLA, Israelitische Kultusgemeinde
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Subtitle
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Author
- Hannelore Burger
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271