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Die bürgerliche Revolution von 1848 61
der Juden nicht vorgreifen, sondern diese dem inzwischen in Kremsier tagenden
Reichstag überlassen wolle.191 In der letzten Fassung des Kremsierer Grundrechts-
katalogs – wohl die vornehmste der österreichischen Verfassungsurkunden – war
postuliert worden : »Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich«. Daraus folgte,
dass die »öffentlichen Ämter und [der] Staatsdienst« für »alle dazu befähigten gleich
zugänglich« sein sollten192, doch der emphatisch vorgetragene Gleichheitsgrund-
satz
– die Isonomie
– schloss weder Frauen noch Juden selbstverständlich mit ein.193
Im Gegenteil entwickelte sich auf dem Kremsierer Reichstag eine zunehmend antise-
mitische Stimmung. Und bevor § 17, der die Frage der bürgerlichen Gleichstellung
der Juden hätte behandeln sollen, umfassend hatte diskutiert werden können, lösten
kaiserliche Truppen den Reichstag gewaltsam auf, und anstelle des Kremsierer Ver-
fassungsentwurfes trat nun die sogenannte »oktroyierte Märzverfassung« der Regie-
rung Schwarzenberg. Diese allerdings gewährte mit einem eigenen Patent die volle
Gleichberechtigung aller Konfessionen und damit die rechtliche Gleichstellung der
191 Die Protokolle des Österreichischen Ministerrates 1848–1867, II. Abteilung/Band 2, Das Minis-
terium Schwarzenberg, bearbeitet von Thomas Kletečka/Anatol Schmied-Kowarzik (Wien 2005),
Einleitung, S. XXXI. sowie ÖMProt. II/1, Das Ministerium Schwarzenberg, bearbeitet von Tho-
mas Kletečka, Nr. 3, MR, Wien, 15. Dezember 1848, S. 117.
192 Fischel, Grundrechte, S. 198.
193 Vgl. Gerald Stourzh : Die Grundrechte in der Paulskirche und im Kremsierer Reichstag, in : der-
selbe : Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990–2010 (Wien/
Köln/Graz 2011), 69–85, S. 72
Abb. 10 : Isaak Noah Mannheimer (1793–1865) ;
Quelle : ÖNB/Wien, Bildarchiv
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Subtitle
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Author
- Hannelore Burger
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271