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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
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Page - 126 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

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126 Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit Verfechtern  – allen voran Otto Bauer und Karl Renner  – klar, dass dieses nicht vor nationaler Majorisierung schützte. Verwirklicht  – und zwar in seiner komplexesten Form  – wurde das Katasterwahlsystem noch einmal im Rahmen des Ausgleichs in der Bukowina. Anfang September 1909 legte der Bukowina Landtag der Regie- rung in Wien einen einstimmig beschlossenen Wahlreformentwurf vor, der auf Basis des alten Kurienwahlsystems fünf nationale Kataster vorsah, darunter einen jüdischen.444 Ausgearbeitet worden war das komplexe Wahlgesetz vom jungru- thenischen Politiker Nikolaij Wassilko, von dem rumänischen Demokraten Aurel von Onciul und vom Gründer der nationaljüdischen Partei Benno Straucher. Ne- ben Benno Straucher, der eine Art »Diaspora-Nationalismus« vertrat, fochten auch Nathan Birnbaum (der Schöpfer des Begriffs »Zionismus«) und der jüdische Rechts- anwalt Dr. Max Diamant für einen eigenständigen jüdischen Kataster.445 Tatsächlich war die Bukowina seit der Jahrhundertwende zu so etwas wie einem Experimentier- feld für eine eigenständige national-jüdische Politik geworden.446 Als die Details des Ausgleichswerks in der Öffentlichkeit bekannt wurden, er- regte dies einerseits Begeisterung auf Seiten der Zionisten und nationalbewussten Juden, für die der jüdische Kataster »ein Stück Lösung der Judenfrage« bedeutete447, andererseits Erschrecken und Entsetzen auf Seiten der assimilierten Juden in Czer- nowitz wie in Wien. Letztere fürchteten nicht nur, dass die Anerkennung eines eigenen jüdischen Volksstammes die mit dem Staatsgrundgesetz errungene staats- bürgerliche Gleichberechtigung wieder gefährden könnte, sondern dass damit auch den Bestrebungen der Antisemiten, Assimilation und Integration rückgängig zu ma- chen, Tür und Tor geöffnet werden könnte.448 Die Regierung in Wien reagierte auf die Ausgleichsvorlage mit einem Erlass, in der der bukowinischen Landesregierung eindringlich dargelegt wurde, dass die »Behandlung der jüdischen Bevölkerung als eigene Nation« mit den Grundsätzen der österreichischen Gesetzgebung unverein- bar sei.449 Die Enttäuschung auf nationaljüdischer und zionistischer Seite war groß. Die bukowinische Landesregierung behalf sich schließlich damit, dass die sich zur 444 Zum Ausgleich in der Bukowina siehe : Thomas Hensellek : Der Bukowina Ausgleich. Ein Erfolg in der politischen Praxis ? In : Lukáš Fasora/Jiří Malíř (Hg.) : Der Mährische Ausgleich von 1905, a.a.O., S.  279–290. 445 Vgl. Gerald Stourzh : Der nationale Ausgleich in der Bukowina 1909/1910, in : Ilona Slawinski/ Joseph P. Strelka (Hg.) : Die Bukowina. Vergangenheit und Gegenwart (Bern et al. 1995), S.  35–52. 446 Vgl. David Rechter : A Nationalism of Small Things : Jewish Autonomy in Late Habsburg Austria, in : Leo Baeck Institute Year Book LII (2007), S.  87–109. 447 Neue Nationalzeitung vom 10. September 1909, zit. nach : Gaisbauer, Davidstern, S.  516. 448 Vgl. Stourzh, Nationale Ausgleich, S.  46f. 449 Die Regierung anerkannte die jüdische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit vielmehr »als staatlich anerkannte Religionsgesellschaft«. Erlass vom 4. Oktober 1909, zit. nach : Stourzh, Nationale Aus- gleich, S.  48.
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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Subtitle
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Author
Hannelore Burger
Location
Wien
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
292
Keywords
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
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