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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
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Page - 179 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

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Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 179 die Ausreise noch immer gestattete. So gelang es Gena Falkenflik, wie sich ihre Toch- ter erinnert, dank ihres ungewöhnlichen Charmes, ihre Staatsangehörigkeit zu ver- ändern. In der Tat findet sich in einer Meldebestätigung der Bundespolizeidirektion Wien neben dem Namen Leon Falkenflik die Eintragung »Russland«  – ein kleiner Sieg im täglichen Kampf ums Überleben. Denn nun stand Gena Falkenflik mit ihrer Tochter Martha unter dem Schutz des königlichen schwedischen Konsulats, das die Interessen der russischen Staatsangehörigen im ehemaligen Österreich wahrte. Tat- sächlich gelang es ihr, einen Schutzbrief des Schwedischen Konsuls für sich und ihre Tochter zu erwirken.640 Als allerdings einen Monat später die deutschen Truppen die Sowjetunion überfielen, wurden sie damit zu feindlichen Ausländern und der schwedische Schutzbrief schien nur noch ein Stück Papier. Martha erinnert sich daran, wie sie sich immer wieder vor Personen in SA- oder SS-Uniformen verstecken musste : »Wenn eine Tür aufging, konnte das unser Ende bedeuten. Ich wusste nur, ich darf mich nicht rühren.« Draußen fühlte sie sich freier. Da sie kaum als jüdisches Kind kenntlich war  – um den gelben Stern tragen zu müssen, war sie zu jung  –, bewegte sie sich viel im Freien, auch an Plätzen, die für Juden verboten waren, oft auf der Suche nach Nahrung. Im Alter von fünf Jahren  – es geschah in einem düsteren Wiener Stiegenhaus  – wurde sie Opfer eines sexu- ellen Gewaltakts durch einen uniformierten Täter. Im Herbst 1942 wurde sie mit ihrer Mutter verhaftet und zunächst in ein Sammellager in der Malzgasse überführt. Martha erinnert sich an viele behinderte Kinder und daran, gemeinsam mit einem taubstummen Kind in einem Verschlag unter der Treppe gehaust zu haben. Nach drei Wochen wurden sie entlassen. Von jetzt an lebten sie in völlig überfüllten Sam- melwohnungen im zweiten Wiener Gemeindebezirk, zunächst in der Große Moh- rengasse, ab Februar 1943 in der Zirkusgasse. Im August 1943  – zu einem Zeitpunkt, als die Mehrzahl der Wiener Juden be- reits deportiert worden war641  – wurden Mutter und Tochter erneut von der Ge- stapo verhaftet. Martha ergriff einen kleinen grünen Rucksack, den die Mutter für diesen Fall vorbereitet hatte. Er enthielt unter anderem ein Märchenbuch von Hans Christian Andersen und ihren Teddybär. Im Morgengrauen wurden sie in einen überfüllten Polizeiwagen, einen »grünen Heinrich«, gestoßen. Im Gefängnis an der Elisabeth-Promenade, der sogenannten Liesl, verbrachten Mutter und Tochter etwa einen Monat in Gestapo-Haft. Dann begann der Leidensweg der Deportation. Ein- 640 Schutzbrief des Königlich Schwedischen Konsulats vom 13. Juni 1942. Dokumentensammlung Martha Raviv. 641 Ende Oktober 1942 war die Deportation der Wiener Juden fast abgeschlossen. Es befanden sich nur mehr etwa 8 300 Juden in der Stadt. Vgl. Jonny Moser : Die Katastrophe der Juden in Öster- reich 1938–1945, in : Der gelbe Stern in Österreich. Katalog und Einführung zu einer Dokumen- tation (=  Studia Judaica Austrica V) (Eisenstadt 1977), S.  130f.
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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Subtitle
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Author
Hannelore Burger
Location
Wien
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
292
Keywords
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
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