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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191834
ders als dies später in Wien der Fall war, auch Ärzten.18 Die Wiener Akademie erhielt
als Dank für die Vermittlung der böhmischen Pechblende zwei Präparate von den
Curies, die dem Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Wien für For-
schungszwecke zur Verfügung gestellt wurden.19 Der Großteil des aus den böhmi-
schen Uranerzen gewonnenen Radiums blieb indes in Frankreich.20 Die beispiellose
Verfügungsgewalt eröffnete in Paris besondere Möglichkeiten in wissenschaftlicher
Hinsicht : 1903 entdeckten zum Beispiel Henri Becquerel und Pierre Laborde den
Wärmeeffekt des Radiums mithilfe eines der stärksten damals vorhandenen Radi-
umpräparate.21
Da sich abzeichnete, dass die Verarbeitung riesiger Erzmengen die Kapazität ihres
Laboratoriums überstieg, suchte und fand das Ehepaar Curie seit 1903 in der Société
Centrale de Produits Chimiques (SCPC) einen Partner, um Radium im industriellen
Maßstab herzustellen.22 Die Geschäftsbeziehungen zu der Firma scheinen sich aller-
dings schnell verschlechtert zu haben, denn schon im darauf folgenden Jahr suchte das
Paar einen neuen industriellen Kooperationspartner. Der französische Industrielle
Émile Armet de Lisle begann ab 1904, unterstützt durch Pierre und Marie Curie, eine
industrielle Radiumproduktion aufzubauen und nach alternativen Bezugsquellen des
Rohstoffs Pechblende zu suchen.23 Die SCPC verkaufte Präparate im In- und Ausland,
doch die jeweils stärksten verblieben im Laboratoire Curie in Paris.24 Neben Armet de
Lisle ließen sich auch die 1910 von Henri de Rothschild gegründete Société Anonyme
des Traitements Chimiques und die deutsche Fabrik Chemischer Produkte Rheingön-
heim, die Radiumpräparate auf Basis der St. Joachimsthaler Erze herstellte, von den
Curies beraten.25
18 Vgl. Boudia 2001, 75.
19 Vgl. Reiter 2001a, 111.
20 In Wien schätzte man, dass die Curies insgesamt weniger als 100 Milligramm (darunter die der Wiener
Akademie überlassenen zwei Milligramm) Radiumproben ins Ausland verschenkten. Vgl. AÖAW, FE-
Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 341 : Überweisung von Pechblenderückständen von St. Joachimsthal
an Madame Curie, undatiert. Wie die Verteilungspolitik der Curies tatsächlich aussah, ist in der Literatur
umstritten. Vgl. Boudia 2001, 89 ; Badash 1979a, 23.
21 Vgl. Hessenbruch 1994, 76.
22 Vgl. Boudia 2001, 89, 91–92. Um aus einer Tonne Pechblende zwischen 20 und 50 Milligramm Radi-
umbromid zu extrahieren, waren fünf Tonnen chemischer Zusatzstoffe und 50 Tonnen Wasser notwen-
dig. Vgl. Hessenbruch 1994, 49.
23 Vgl. Boudia 2001, 92–104, 124.
24 Vgl. Ceranski 2008a, 422.
25 Siehe zur Firmengeschichte der Rheingönheimer Fabrik http://www.rheingoenheim-info.de/index.php/
geschichten/102-kurzgeschichten-von-walter-schaefer ?start=14 (Zugriff : 25.08.2013). Vgl. zu Curies
Kontakten in die Industrie Boudia 2001, 91, 108. Offenbar gelang es Marie Curie, trotz ihrer engen
Verbindung zur Industrie ihre Unabhängigkeit zu wahren. Vgl. ebd., 116.
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book Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)"
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369