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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191844
zwischen 1880 und 1890 geboren worden waren.71 Die zweite Generation erlebte den
Weltkrieg in der Regel an der Front und begann ihre eigentliche akademische Karriere
erst nachdem die Monarchie untergegangen war. Für sie war es ungleich härter als für
die älteren Exner-Schüler, sich beruflich an einer der drei Universitäten Österreichs zu
etablieren. Die Jüngeren waren, darin den Entwicklungen der naturwissenschaftlichen
Disziplinen folgend, sehr viel stärker fachlich spezialisiert als ihre älteren Kollegen, bei
denen oft unklar war, ob sie zu den Chemikern oder den Physikern zählten.72 Die
dritte Generation umfasste schließlich Physiker und Physikerinnen, die von Exner-
Schülern der ersten und zweiten Generation ausgebildet worden waren. Sie gehörten
einer Alterskohorte an, die zwischen 1890 und 1910 geboren worden war. Die meisten
von ihnen hatten Franz Serafin Exner als Lehrer nicht mehr persönlich erlebt, ihre
akademische Ausbildung war aber im Exner’schen Sinne stark experimentell geprägt.
Die dritte Generation fasste beruflich in der Regel erst nach jahrelangen, in Einzelfäl-
len Jahrzehnte dauernden Wartezeiten an den heimischen Universitäten Fuß, sofern
ihre Angehörigen das Land nicht schon vorher freiwillig verlassen hatten oder vertrie-
ben worden waren.
Die Mitglieder des engeren Exner-Kreises pflegten zu Exners Lebzeiten ein äußerst
herzliches, kollegiales Verhältnis und zwar unabhängig davon, welcher Generation sie
angehörten. Hans Benndorf erinnerte sich später :
»Zum Tee am späten Nachmittag versammelten wir uns um ›Väterchen‹. Da mußte jeder von
seinen Arbeiten berichten, da gabs keine Heimlichkeiten und keine Prioritätsansprüche,
denn alles war durch regen Gedankenaustausch Eigentum aller. […] Da würde über Gott
und die Welt gesprochen, oft heftig diskutiert und über wissenschaftliche Fragen
gestritten.«73
Aus der gemeinsamen Zeit an Exners Institut entwickelten sich oft lebenslange Freund-
schaften.
71 Die Einteilung in zwei Altersgruppen ist von mir gewählt, gestützt auf Daniel 2001, 331–334. Entspre-
chende Selbstdeutungen finden sich aber auch unter den Exner-Schülern. Siehe beispielsweise AÖAW,
FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 303 : Schrödinger an Meyer vom 29.11.1926.
72 Stefan Meyer, der bei Exner Physik gehört hatte, wurde von der DCG Mitte der 1920er Jahre zu den
anorganischen Chemikern gezählt. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 10, Fiche 166 : DCG an
Meyer vom 19.5.1924.
73 Benndorf 1937, 15. Siehe auch Schrödinger 2006, 16. Siehe zu den Schüler-Schülern Steinmaurer 1967.
Ähnliche »tea-room discussions« sind auch von J. J. Thomsons Labor in Cambridge und vom Labor
Rutherfords in Manchester überliefert. Vgl. Wilson 1983, 274–275 ; Jaffé 1952, 236. Zum distanzierten
Verhältnis Marie Curies zu ihren Schülern Davis 1995, 353.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369