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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191858
»Reputationsökonomie« : »Das Radium bekam nicht […], wer dafür (am meisten)
Geld bezahlte, sondern wer den größten wissenschaftlichen Nutzen aus seiner Verwen-
dung glaubhaft machen konnte.«139
Als einer der ersten erhielt Carl Auer von Welsbach im November 1907 2,4 Tonnen
Hydrat, das bei der Atzgersdorfer Radiumproduktion angefallen war und als Ausgangs-
punkt für die Gewinnung von Actinium, Polonium sowie Seltener Erden diente.140 Im
selben Monat lieh die Akademie Ernest Rutherford und William Ramsay ein 280
Milligramm schweres Radiumchlorid-Präparat.141 Rutherford, der 1907 von Montréal
nach Manchester gewechselt war, zählte zu den wenigen Personen weltweit, welche die
qualitative und quantitative Natur radioaktiver Proben experimentell ermitteln konn-
ten. Mit seinem Kollegen und Rivalen, dem Radiochemiker William Ramsay, lag er
seit längerem im Streit um verlässliche Messmethoden, mit denen die radioaktive
Strahlung bestimmt werden konnte.142 Da Rutherford sich mit Ramsay über die Nut-
zung des Wiener Präparats nicht verständigen konnte, erhielt er 1908 auf Vermittlung
Exners ein rund 400 Milligramm schweres Radiumbromid-(C’-)Präparat als Leihgabe
zum exklusiven Gebrauch. Hinzu kam ein Eichpräparat, das 6,45 Milligramm Radium
enthielt.143 Die Leihfrist wurde zunächst auf zwei Jahre festgesetzt und danach um
weitere zwei Jahre verlängert.144 Rutherford lieh sich radioaktive Proben zwar auch
andernorts, doch blieben sie in der Stärke weit hinter den Wiener Präparaten zurück.145
Damit avancierte er zu einem der am besten ausgestatteten Radioaktivisten in Groß-
britannien.146 Auf Bitten Exners publizierte Rutherford seine Ergebnisse in deutscher
Übersetzung in den Sitzungsberichten der Akademie und verhalf dem Publikationsor-
gan dadurch zu einem Reputationsgewinn.147 In Wien tat man viel, um die Verbun-
denheit des Neuseeländers mit dem Institut für Radiumforschung auch nach außen
139 Vgl. Ceranski 2008a, 429.
140 Siehe zu möglichen Gründen, weshalb die Akademie das Präparat überließ Groß/Löffler 2012, 189.
141 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 341 : Zur Kenntnis des Aufenthaltes radioaktiver
Produkte aus dem Besitz der k. Akademie der Wissenschaften, undatiert.
142 Vgl. Hessenbruch 1994, 69–70.
143 Das Präparat enthielt 3.981 Milligramm eines Radium-Bromid-Salzes mit einem Radiumgehalt von
sieben Milligramm. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 29, Fiche 398 : Memorandum vom
12.1.1928. Siehe dazu auch Stuewer 1985, 246 ; Meyer 1950, 16–17.
144 Vgl. CUL, RC, Add 7653, E 82 : Exner an Rutherford vom 3.5.1910.
145 Er erhielt 1909 von Otto Hahn beispielsweise ein Radiothor-Präparat, welches einem Radiumbromid-
Präparat der Größenordnung von 0,085 Milligramm entsprach. Vgl. CUL, RC, Add 7653, H 32 : Hahn
an Rutherford vom 25.1.1909.
146 Rutherfords Kollege Soddy gab nach Kriegsende an, nie mehr als 300 Milligramm Radiums zur Verfü-
gung gehabt zu haben. Vgl. £70.000 Worth of Radium. Largest Consignment Taken to London, in : The
Straits Times vom 21.10.1921.
147 Vgl. CUL, RC, Add 7653, E 78 : Exner an Rutherford vom 11.6.1908.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369