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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191874
dies eine notwendige Voraussetzung, damit ein Eichstandard als international aner-
kannt gelten konnte. Meyer wurde nicht müde, Hönigschmids sorgfältigen Arbeitsstil
vor den Kommissionskolleginnen und -kollegen in den höchsten Tönen zu loben und
die Wiener Standards als Vergleichstandards zum Pariser Urnormal ins Spiel zu brin-
gen.210 Seine Argumente fanden vor allem bei Rutherford Anklang, dem viel daran
gelegen war, die Standardisierung zu einem guten Ende zu führen.211 Rutherford hatte
Curies Eichmethoden gegenüber Meyer und anderen Kollegen wiederholt scharf kriti-
sierte : sie seien ungeeignet, um gewöhnliche kleinere Standards daran zu messen und
in vereinzelten Fällen schlicht unzuverlässig.212 Selbst nachdem Marie Curie die Her-
stellung des Urnormals abgeschlossen hatte, bevorzugte er den Wiener Standard, den
Meyer ihm zwischenzeitlich als Leihgabe zur Verfügung gestellt hatte.213
Curie wollte das Urnormal, das sie im Auftrag der Kommission erstellt hatte, als ihr
persönliches Eigentum behalten. Damit war ihr Labor theoretisch der einzige Ort auf
der Welt, an dem offiziell anerkannte Sekundärstandards hergestellt werden konnten.
Rutherford war als Kommissionspräsident jedoch sehr darauf bedacht, Curies Bedeu-
tung in metrologischen Fragen nicht zu groß werden zu lassen. Gegenüber Meyer be-
tonte er :
»I stated very definitely to Mme Curie that every dublicate [sic !] standard which was required
must be sent in the name of the International Committee and not of herself as an individual.
I was not quite sure whether she had not an idea of merely giving a personal certificate ; but
I pointed out that the International Committee existed for this purpose.«214
Rutherford wies Curie eindringlich darauf hin, dass das Urnormal bei einer regierungs-
amtlichen Behörde aufbewahrt werden müsse, um tatsächlich internationale Gültig-
keit beanspruchen zu können. Zugleich bat er Hönigschmid ein gleichwertiges Präpa-
rat herzustellen, das Curie als Ersatz für das Urnormal übergeben wurde. So geschah
es auch. Das von Curie hergestellte Urnormal ging in den Besitz der Kommission über
und wurde im Pariser Bureau des Poids et Mesures hinterlegt.215 Meyer bezeichnete es
später als »reinen Akt der Höflichkeit« gegenüber Curie, dass das Pariser Präparat zum
210 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 349 : Meyer an Curie vom 19.11.1912.
211 Vgl. CUL, RC, Add 7653, M 108 : Rutherford an Meyer vom 25.4.1911.
212 Vgl. CUL, RC, Add 7653, M 106 : Rutherford an Meyer vom 22.10.1910.
213 Vgl. CUL, RC, Add 76537, M 124 : Rutherford an Meyer vom 10.2.1912. Einige Jahre zuvor hatten
Experimente Rutherfords und des Ehepaars Curie Abweichungen von bis zu 500 Prozent ergeben. Vgl.
Hessenbruch 1994, 83.
214 CUL, RC, Add 7653, M 115 : Rutherford an Meyer vom 8.11.1911.
215 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 311 : Soddy an Meyer vom 16.11.1912.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369