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Das Zentrum (re-)formiert sich 123
Emissär nach London.140 Das Radium diente als Grundlage für Radiumstationen in
London, Paris, Brüssel und Prag, in denen Radon für medizinische Zwecke gewonnen
wurde.141
Der Radiummarkt hatte sich im Verlauf des Krieges stark verändert. Schon vor
dessen Beginn hatte St. Joachimsthal die Führungsposition als Uranerzlagerstätte ver-
loren, nachdem in den US-Bundesstaaten Utah und Colorado Carnotit, ein Uranerz,
in großen Mengen gefunden worden war. Carnotit gewann als Ausgangsstoff für die
Radiumgewinnung seit 1913 kontinuierlich an Bedeutung und es entstand eine US-
amerikanische Radiumindustrie, die das österreichisch-ungarische Monopol im Radi-
umhandel noch vor dem Kriegsbeginn brach.142 Bis 1922 kam ein Großteil des welt-
weiten Radiumangebotes aus den USA, insbesondere von der Standard Chemical
Company in Pittsburgh. Die St. Joachimsthaler Radiumproduktion blieb quantitativ
weit hinter den US-amerikanischen Anbietern zurück.143 Der Preis für Radium sank
trotz gleichbleibender Nachfrage. Die Markt- und Preisstrukturen veränderten sich
grundlegend, als mit dem belgischen Montanunternehmen Union Minière du Haut-
Katanga zu Beginn der 1920er Jahre ein neuer Wettbewerber auftrat.
Das 1906 gegründete belgische Unternehmen engagierte sich zunächst in der Ge-
winnung und Weiterverarbeitung von Kupfer und anderen Nichteisenmetallen aus
der belgischen Kolonie Kongo, bevor es 1913 in der Provinz Katanga im südlichen
Kongo stark uranhaltige Erze entdeckte. Während des Krieges sah die Unterneh-
mensleitung in Brüssel von einer Erschließung der kongolesischen Gruben in Shin-
kolobwe ab, unter anderem auch deshalb, weil das Unternehmen nach der Besetzung
Belgiens unter deutscher Treuhandschaft stand. Die Ausbeutung der Uranlager und
der Uranversand nach Belgien begannen in größerem Stil Ende 1921.144 Die ersten
Schürfproben aus Shinkolobwe gingen an Alfred Schoep, Professor an der Universität
140 Vgl. £70.000 Worth of Radium. Largest Consignment Taken to London, in : The Straits Times vom
21.10.1921. Im Zuge des Vertrags wurde die Radium Corporation of Czecho-Slovakia, eine private
Gesellschaft mit begrenzter Haftung, gegründet, an der die Imperial and Foreign Corporation und der
tschechoslowakische Staat jeweils 50 Prozent der Anteile hielten. Die Radium Corporation erhielt die
Option (in Form eines Darlehens) auf die Verwertung der Radiumproduktion aus den tschechoslowa-
kischen Minen im Zeitraum von 15 Jahren. Davon ausgenommen war ein für wissenschaftliche Zwe-
cke zurückgehaltener Anteil. Das an die Radium Corporation verliehene Radium blieb im Besitz des
tschechoslowakischen Staates, und die Rechte an der Ausbeutung der staatlichen Minen blieben davon
unberührt. Vgl. Hessenbruch 1994, 50.
141 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 249 : Meyer an Leemans vom 20.12.1921.
142 Vgl. Rentetzi 2008, 440, 443–446.
143 Die Standard Chemical Company of Pittsburgh allein produzierte zwischen 1913 und 1926 eine Ge-
samtmenge von 200 Gramm Radium und 600 Tonnen Uran. Bis 1922 erzeugte die USA 153 Gramm
Radium, gegenüber 22 Gramm in St. Joachimsthal. Vgl. Fattinger 1937, 12–13.
144 Vgl. Adams 1993, 492.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369