Page - 149 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Image of the Page - 149 -
Text of the Page - 149 -
Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 149
Quantenphysik in die schwedische Physik einzuführen. Zurück in Wien bedankte sich
Kirsch überschwänglich bei Oséen »für die Ermunterung, die ich durch Herrn Professor
erfuhr, mit meinen Gedanken über die Kernstruktur hervorzutreten. Hier in Wien hatte
ich ja mit denselben gerade keinen Anklang gefunden.«273 Doch spätestens seit dem
Herbst 1920 war man sich auch am Institut für Radiumforschung der Tragweite von
Rutherfords Untersuchungen bewusst. Meyer empfahl Kirsch daher :
»Für alle künftigen Spekulationen über die Kernstrukturen müssen jedenfalls die neuen Er-
gebnisse Rutherfords mit den Kernbausteinen der Masse 1, 3, und 4, also neuerdings das X3,
Berücksichtigung finden. Sie kennen diese Arbeit, die am 3. Juni 1920 in den Proc[eedings
of the]. Roy[al]. Soc[iety]. erschienen ist, vermutlich schon.«274
Nicht alle Radioaktivisten waren sich der Signifikanz des neuen Gebietes so bewusst
wie Meyer. So sprach sich sein Freund und Kollege aus Innsbruck, Egon von Schweid-
ler, im Sommer 1921 dagegen aus, die jüngsten Ergebnisse Ernest Rutherfords und
James Chadwicks in die geplante englische Ausgabe der Monographie »Radioaktivität«
aufzunehmen, da sie »in der α-Zerlegung eine derartige Unruhe in das ganze Problem
zu bringen scheinen, dass ich mich nicht entschliessen kann, die betreffenden Partien
für unser Buch schon jetzt umzuarbeiten, in einem halben Jahr müsste es ja doch wie-
der umgeändert werden«.275
Ebenso wie am Cavendish Laboratory waren die am Institut für Radiumforschung
kostenlos verfügbaren Radiumpräparate eine Grundvoraussetzung dafür, dass Petters-
son mit der Zertrümmerung leichter Atome experimentieren konnte. Auf Vermittlung
Otto Hahns hätte er Radiothor-Präparate bei der Auergesellschaft in Berlin kaufen
können, um seine in Wien begonnenen Studien fortzuführen. Dafür fehlte ihm aller-
dings das nötige Geld.276 Pettersson kam in einer Zeit nach Wien, als die wirtschaftli-
che Lage des Instituts für Radiumforschung ihren Tiefpunkt erreicht hatte. Dort
forschten nur noch 13 Personen, so wenige wie nie zuvor. In Kirsch fand Pettersson
jedoch einen Mitstreiter für seinen Plan, die Versuche Rutherfords zu wiederholen. In
dem Maße, wie die Gruppe um Pettersson wuchs und ihre Untersuchungsreihen er-
weiterte, stieg der Bedarf an finanziellen Mitteln. Das Bundesministerium für Unter-
richt unterstützte die am II. Physikalischen Institut angelaufene Atomzertrümme-
rungsforschung mit einer Sonderdotation, doch diese reichte bei weitem nicht aus.277
273 KVA, ACWO : Kirsch an Oséen vom 20.3.1921. Vgl. zur Laborpolitik Oséens Crawford 1992b, 75.
274 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 236 : Meyer an Kirsch vom 12.10.1920.
275 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 306 : Schweidler an Meyer vom 7.6.1921.
276 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 279 : Pettersson an Meyer vom 4.6.1922.
277 Das II. Physikalische Institut erhielt im März 1924 einen Zuschuss von 13 Millionen Kronen für Atom-
back to the
book Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)"
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369