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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932164
offizier im Weltkrieg mit nachrichtentechnischen Fragen befasst, und auch nach
Kriegsende publizierte er zunächst in diesem Bereich. 1925 schloss er sich der For-
schungsgruppe um Pettersson an.348 Gemeinsam mit Gustav Ortner führte er den
Röhrenverstärker in einer für quantitative Messungen brauchbaren Form in die atom-
physikalische Messtechnik in Wien ein.349 Stetter bemühte sich als einer der ersten
Physiker, die Ergebnisse der Atomzertrümmerungsforschung auch in Ingenieurkreisen
bekannt zu machen.350
In der Ausbildung junger Physikerinnen und Physiker, die in Wien seit Mitte der
1920er Jahre in wachsender Zahl zu atomphysikalischen Themen promovierten, spielte
die elektronische Messtechnik eine immer bedeutendere Rolle.351 Gemeinsam mit
seinem Schüler Josef Schintlmeister entwickelte Stetter eine eigene Methode, um Kor-
puskularstrahlen mittels einer Doppelkammer und eines Doppelröhrenelektrometers
zu untersuchen.352 Willibald Jentschke, ein anderer Schüler Stetters, maß mit den in
Wien entwickelten neuen Methoden die Ionisation einzelner Korpuskularstrahlen so-
wie die Energien und Massen bei Streuvorgängen und Kernumwandlungen.353 Stetter
versuchte, die Ergebnisse von Walther Bothe und Hans Fränz aus dem Jahr 1927 zu
widerlegen, die die Ergebnisse der Cambridger Atomzertrümmerer stützten.354 Später
untersuchte er gemeinsam mit Pettersson auch Teilchen kleiner Reichweite, die bei
α-Bestrahlung schwerer Edelgase auftraten.355
Stetters wachsende Bedeutung spiegelte sich im veränderten Finanzierungsmuster
der Forschungsgruppe wider. Im Frühjahr 1929 wandte er sich erstmals an die im Jahr
zuvor gegründete ÖDW.356 1930 stellte die ÖDW ihm beziehungsweise dem II. Phy-
348 Vgl. UAW, NL Stetter, Sch 312, Inv. 131.410 : Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie
Ges.m.b.H : Unterlagen zur Pressekonferenz vom 10.7.1963. Die Natur der sekundären sogenannten
H-Strahlen wurde von Stetter durch gleichzeitige magnetische und elektrische Ablenkung geprüft. Vgl.
Stetter 1925.
349 Vgl. BAB, R 4901/13553, Bl. 398–402 : Georg Stetter, Antrag auf Umwandlung der a.o. Professur für
Physik in eine o. Professur, undatiert [1940]. Mit dem Röhrenelektrometer wurden einzelne H-Strahlen
im Lautsprecher für den Demonstrationsversuch hörbar gemacht, um Kernumwandlungsprozesse zu
messen.
350 Vgl. UAW, NL Stetter, Inv. 131.40 : Karl Lintner, Georg Stetter
– 70 Jahre, undatiert.
351 Vgl. Archiv des Deutschen Museums München, ab sofort : ADM, NL Gerlach, 80/417/2 : Kirsch an
Gerlach vom 12.3.1939.
352 Vgl. UAW, NL Stetter, Inv. 131 : Georg Stetter, Schriftenverzeichnis, undatiert.
353 Vgl. UAW, NL Stetter, Inv. 131 : Wiederbesetzung der ordentlichen Lehrkanzel für Physik nach o. Prof.
Dr. Georg Stetter vom 14.3.1966.
354 Vgl. Galison 1997a, 153 ; Stuewer 1985, 283.
355 Vgl. UAW, PA Josef Schintlmeister, PH PA 3293, Kiste 227, Bl. 2–6 : Georg Stetter, Kommissionsbe-
richt betreffend venia legendi für Experimentalphysik an Dr. Josef Schintlmeister, undatiert.
356 Vgl. AÖAW, Wissenschaftshilfe, Karton 2 : Stetter an ÖDW vom 27.5.1929.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369